Das Montagsinterview
„Dialog ist ein Kern von Theologie“

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung kann Religionen helfen, Vereinseitigungen zu überwinden, findet Wolfram Weiße
GLAUBEN ODER WISSEN Eine Akademie der Weltreligionen soll das Gespräch der Religionen an der Universität Hamburg etablieren. Wolfram Weiße ist die treibende Kraft dahinter. Im Persönlichen seien Glaubensgewissheiten notwendig, sagt er, im Bereich des Austauschs aber unmöglich

■  ist Professor für Erziehungswissenschaft. Er hat maßgeblich an verschiedenen interreligiösen Projekten mitgearbeitet:

■  am „Religionsunterricht für alle“ – einem konfessionsübergreifenden Hamburger Spezifikum

■  am Zentrum „Weltreligionen im Dialog“, der Vorstufe zur Akademie der Weltreligionen

INTERVIEW GERNOT KNÖDLER

Herr Weiße, am Mittwoch eröffnen Sie die Akademie der Weltreligionen. Glauben Sie an Gott?

Wolfram Weiß: Ich kann Ihre Frage mit „Ja“ beantworten, möchte aber Folgendes erläuternd hinzufügen: Wir werden der Frage nach Gott nie vollauf gerecht werden können. Deswegen gibt es im Judentum, im Christentum und im Islam ein Bilderverbot. Das hat seinen Grund darin, dass man sich des unverfügbaren Gottes nicht durch eine konkrete Vorstellung bemächtigen soll. Aber man kann sich mit Menschen des gleichen und auch anderen Glaubens einig wissen: Wir haben eine Verbundenheit gegenüber dem, den wir nicht einfangen, den wir nicht besitzen können, auf den wir aber vertrauen und zu dem wir in unterschiedlicher Weise beten können.

Dient also die Akademie der Weltreligionen dazu, sich auf wissenschaftlicher Basis zwischen den Religionen zu verständigen?

Das ist in der Tat der Fall. Es geht darum, den Dialog zwischen den Religionen verstärkt in das wissenschaftliche Denken aufzunehmen. Dialog ist nicht Luxus, nach der Devise, dass man sich den anderen erst dann zuwenden kann, wenn man sich das Eigene erarbeitet hat. Sondern Dialog ist ein Kern von Theologie. In einem wissenschaftlichen Ansatz des Dialogs kann verstärkt beides wahrgenommen werden: Worin man mit anderen übereinstimmt und wo es Differenzen gibt.

Wie eng muss ein Lehrstuhlbewerber der Religion verbunden sein, deren Theologie er betreiben soll?

Bisher war die Tradition in den Bundesländern unterschiedlich. Staatskirchenverträge – seit kurzem auch mit Hamburg – erlauben es den Kirchen, beratend, kontrollierend aber auch sanktionierend einzugreifen. Davon unbeschadet werden die Professuren über die universitären Gremien ausgeschrieben und damit wird der wissenschaftliche Standard gewahrt. Zumeist werden die Mitwirkungsmöglichkeiten eher im Sinne einer „Notbremse“ verstanden. Wenn Professoren Grundlegendes des Glaubens über Bord werfen, dann schreitet in vereinzelten Fällen die Kirche ein.

Käme eine solche Professur auch für jemanden, wie den Münsteraner Professor Sven Kalisch in Frage, der die Existenz des Propheten Mohammed bezweifelt?

Sven Kalisch hat öffentlich erklärt, er sei nicht mehr Muslim. Damit ist auch deutlich, dass er die islamische Religion nicht aus einer Innensicht akademisch bearbeiten kann, was für Professuren in islamischer Theologie unabdingbar ist. Wie sich die Berufungspraxis und die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften bei Berufungen von Professuren in islamischer, jüdischer Theologie oder Buddhismus weiter entwickelt, muss man abwarten. Hierzu hat der Wissenschaftsrat vorgeschlagen, religiöse Beiräte einzurichten, aber diese Frage ist noch nicht gelöst. Deutlich ist, dass man das bisherige Modell, das für Berufungen im Bereich evangelischer oder katholischer Theologie gilt, nicht einfach übertragen kann.

Warum nicht?

Muslimische Organisationen vertreten nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland. Man kann nicht erwarten, dass sie kirchenähnliche Strukturen annehmen und möglichst alle Muslime dort Mitglieder werden. Man wird in einer Art Pilotprojekt überlegen müssen, wie man sich die Kompetenz der Verbände zunutze machen kann, aber auch Muslime, die nicht organisiert sind, mit einbezieht.

Sie haben sich mit der Wechselwirkung zwischen Religionen und gesellschaftlichen Umbrüchen befasst. Ist die Einwanderung bei uns auch ein solcher Umbruch?

Unsere Gesellschaft hat sich pluralisiert. Sie ist bunter geworden. Es gab auch Phasen, in denen das als gefährlich für unsere Gesellschaft bezeichnet worden ist. Wir sind dagegen immer schon wissenschaftlich von einem ressourcenorientierten Ansatz ausgegangen. Das spiegelt sich jetzt auch stärker in der öffentlichen Diskussion. Man sagt heute: Es ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, dass Menschen mit ihren Potenzialen aus unterschiedlichen Kulturen und mit ihren Religionen hergekommen sind und: Sie sind Teil der Bevölkerung. Und das ist auch gut so.

Versprechen Sie sich vom Dialog der Religionen eine Integrationswirkung?

Das kann man jetzt schon deutlich sehen. Man sollte aber nicht nur theoretisch auf die Möglichkeiten wechselseitiger Verständigung blicken, sondern auch Vertrauensverhältnisse aufbauen. Hamburg ist als die Hauptstadt des interreligiösen Dialogs bezeichnet worden: Hier gibt es Dialogkreise seit Anfang der 1990er Jahre. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen haben sich über die Jahre kennengelernt, so dass man auch über „Schlechtwetterthemen“ reden kann. Das ist der Test für die Tragfähigkeit eines interreligiösen Dialogs.

Sie haben zum Thema Religion und Gesellschaft zuerst in Südafrika geforscht. Was haben Sie dabei gelernt?

Die unterschiedlichen Positionen zum Thema Rassismus innerhalb der Kirchen haben mir gezeigt: Manchmal ist es gar nicht das entscheidende Kriterium, welcher Kirche man angehört, sondern die Kombination zwischen konfessioneller und sozialer Zugehörigkeit ist der Punkt. Für mich als Protestanten war es besonders bitter, bei den weißen lutherischen Kirchen in Südafrika einen starken Rassismus zu sehen und Absetzbewegungen gegenüber den schwarzen Lutheranern. Dies nicht nur sozial, sondern auch religiös.

Steht die Religion bei solchen gesellschaftlichen Prozessen im Vordergrund oder geht es nicht vielmehr darum, scharfe Gruppenidentitäten zu bilden?

Identität kann unterschiedlich verstanden werden. Oft wird sie als kompaktes System gesehen, wo – durch wen auch immer – in einem fest umschnürten Paket klar definiert ist, was einen „richtigen“ evangelischen Christen oder Buddhisten ausmacht. Das ist ein problematisches Verständnis von Identität. Schon in der Praxis kann man sehen, dass das so nicht funktioniert. Menschen derselben Religionszugehörigkeit haben oft ein stark abweichendes Verständnis von dem, was ihre Religion ausmacht. Und theoretisch gibt es auch andere Zugänge: Wir gehen auf Ansätze zu, wie sie Emmanuel Lévinas, Paul Ricoeur oder Helmut Peukert vertreten, die sagen: Identität hat mit Entwicklung zu tun. Identität ist kein Besitz. Sie darf nicht als Machtinstrument verwendet werden. Identität ist nur zu erreichen im Angesicht anderer.

Wenn man sich mit Hilfe der Theologie zu begegnen versucht, muss jede Religion bereit sein, sich selbst in Frage zu stellen. Das wird nicht jedem gefallen?

Es gibt in allen Religionen Menschen, die sich in einem eigenen Zirkel, vielleicht auch einem eigenen Schutzraum bewegen, die fundamentalistisch sind und sagen: Die Wahrheit ist ungeteilt, und nur unsere Religion ist wahr. Im persönlichen Bereich sind Glaubensgewissheiten notwendig. Aber im Bereich des Austauschs wäre es auch objektiv gar nicht möglich, dass die Religionen, die einen Alleinvertretungsanspruch formulieren, alle Recht haben können. Es ist ein Schmerz, den Religionen aushalten müssen, wenn sie sagen: Wir haben einen Wahrheitsanspruch, wir haben eine Orientierung, die uns Sicherheit bietet, aber es gibt auch andere Religionen, die einen Wahrheitsanspruch vertreten und ihren Anhängern Sicherheit bieten.

Der wissenschaftliche Diskurs der Moderne hat das Christentum geschwächt. Können Sie verstehen, dass Gläubige anderer Religionen ähnliche Prozesse befürchten?

Angst ist immer ernst zu nehmen und hat Wurzeln. Sie kann zur Vorsicht raten, dass man nicht alles aus der Hand gibt und dass nicht alles diffus wird. Dies würde die Möglichkeiten von Religionen verringern, Menschen zu bestärken, aber auch ethisch herauszufordern. Daneben ist es die Frage, ob das Christentum wirklich nachhaltig geschwächt worden ist. Wir haben es keinesfalls mit einem Prozess zu tun, durch den die Religion „verdunstet“. Wir dürfen zurückgehende Kirchenmitgliedszahlen nicht als alleiniges Indiz für den Rückgang von Religiosität interpretieren. Im akademischen Bereich sprechen wir zudem nicht mehr von der Säkularisierung – dem Verschwinden der Religion – sondern von Pluralisierung. In Hamburg gibt es über 100 Religionen.

Trotzdem mag der eine oder andere den Dialog als Gefahr für die eigene Frömmigkeit empfinden ...

Die meisten gehen von der Annahme aus, dass fromme Menschen sich in das Gehäuse ihrer religiösen Vorstellung und Praxis zurückziehen. Aber es gibt eine andere religiöse Tradition, die tief innerlich und fromm ist und zugleich mit einem öffentlichen Wirken zusammengeht. Kronzeugin hierfür ist Dorothee Sölle, die gesagt hat, die Mystik – das Tiefinnere – sei die Basis, um öffentlich zu wirken. Das sehe ich auch so.