Ein Leben kommt aus dem Takt

Die Dirigentin Hee-Seon Jin lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Dennoch droht ihr die Abschiebung – weil sie als Musikerin nur befristete Angebote bekommt

Seit fast einem Vierteljahrhundert lebt die gebürtige Koreanerin Hee-Seon Jin in Deutschland. Nun soll die Dirigentin, die 1992 in München ihr Diplom gemacht hat und jetzt in Berlin wohnt, abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde interessiert es offenbar nicht, dass sie die deutsche Sprache, Kultur und Musik sehr gut kennt und, eigenem Bekunden nach, eine Wagner- und Mahlerliebhaberin ist. Ihr Pass wurde im April bereits eingezogen. Heute läuft ihre Fiktionsbescheinigung – das schöngefärbte Wort steht für Duldung – aus.

Behörden-Odyssee

Die Odyssee, die Jin hinter sich hat, dauert bereits mehrere Jahre; die Innenverwaltungen von drei Bundesländern sind involviert. Angefangen hat es 1999 in Bayern. Nur wenn sie eine feste Anstellung nachweisen könne, dürfe sie bleiben, teilte ihr das bayerische Innenministerium mit. Jin fand damals eine Schwangerschaftsvertretung am Staatstheater Darmstadt. Nachdem diese Stelle auslief, wurde sie, dieses Mal vom hessischen Innenministerium, aufgefordert, auszureisen, da sie für eine weitere Aufenthaltsberechtigung wieder eine Anstellung hätte nachweisen müssen. In Musikerkreisen sind feste Anstellungen jedoch eine Ausnahme. Die Regel: befristete Engagements oder Musikunterricht.

Die uneinsichtige Haltung der Ausländerbehörden hat Hee-Seon Jin viele Steine in den Weg gelegt. So konnte sie etwa auch eine ihr angebotene, vielbegehrte Hospitanz bei Kent Nagano, Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters in Berlin, nicht annehmen, weil die Berliner Innenbehörde damals ebenso mit Ausweisung drohte.

Im Januar 2003 heiratete Jin einen deutschen Staatsangehörigen. Als dieser sich knapp eineinhalb Jahre später von ihr scheiden ließ, begannen die Probleme erneut. Schon im August forderte die Berliner Ausländerbehörde sie zur Ausreise auf. Seither konnte sie ihren Aufenthalt nur mit befristeten Duldungen verlängern. Eine Arbeitserlaubnis hat sie nicht. Hätte die Ehe zwei Jahre gehalten, hätte Jin danach ein Anrecht auf eine dauerhafte Aufenthaltsregelung gehabt. „Es widerspricht mir aber, eine Ehe, die ich aus Liebe geschlossen habe, in eine Pro-forma-Geschichte umzuwandeln“, sagt sie.

Nach Angaben der Innenbehörde stehe Abschiebung derzeit nicht im Raum, weil Frau Jin ihren Fall nun beim Petitionsausschuss im Abgeordnetenhaus eingereicht hat. Zwar sei ihre Aufenthaltserlaubnis mit der Auflage verbunden, keine Tätigkeit auszuüben, dies könne aber geändert werden, sobald Frau Jin ein konkretes Arbeitsangebot, selbst als Selbstständige vorlege, das ihrer Ausbildung entspreche.

Solche Beschwichtigungen ist Frau Jin inzwischen leid. „Wie soll diese Art von Selbstständigkeit als Musikerin aussehen, dass ich zum einen davon leben kann und dass sie zum anderen von der Ausländerbehörde akzeptiert wird“, fragt sie bitter.

WALTRAUD SCHWAB