Hitler mochte es nicht

Zum 50. Jubiläum der Bundesmarine hat die taz sich im Herzen ihrer Traditionspflege umgesehen: im Ehrenmal des Deutschen Marinebundes in Laboe an der Kieler Förde. Der Verband hat die historische Überarbeitung in Auftrag gegeben, aber bis zur Gedenkstätte ist es noch ein langer Weg

Von Frank Keil

Der Reiseleiter stellt sich auf den obersten Treppenabsatz: An was das erinnere, was sich vor ihnen in die Höhe recke, will er von seinen, meist älteren, Zuhörern wissen. Gemauert aus rotem Backstein, 85 Meter hoch, auf der Spitze eine Plattform, die einen Rundblick über Weiden, Wiesen und Rapsfelder landseitig, über die Mündung der Kieler Förde und bei gutem Wetter bis rüber nach Dänemark wasserseitig erlaubt. „Na, ein Turm“, findet einer. Vielleicht ein Schiffsmast? Den Reiseleiter selbst erinnert die Form an einen Rammsteven, wie sie die Wikingerschiffe zum Rammen anderer Boote hatten. Auch als Flamme sei der Turm des Marine-Ehrenmals von Laboe oft interpretiert worden. Der Reiseleiter zuckt mit den Achseln: „Kann man so sehen, muss man aber nicht.“ Dann kommt die Geschichte mit Hitler.

Die Geschichte mit Hitler erzählen sie oft und gern in Laboe. Denn Hitler ist bei der Einweihung des Marine-Ehrenmal in Laboe im Sommer 1936 persönlich anwesend, schaut sich um, nennt das Ganze ein Kitschprodukt und wird in Laboe nie wieder gesehen. Nicht tote Helden braucht er, keinen trauernden Blick zurück will er erlauben. Dass Hitler höchstpersönlich das Ehrenmal ablehnte, nimmt man dort bis heute wie einen Beweis, dafür, dass man mit den Nazis nichts zu tun haben kann.

Der Grundstein für den Turm wird 1927 auf dem Fundament eines ehemaligen Geschützturmes gelegt, mit dem Bau selbst 1929 begonnen. Später kommen ein Aufmarschplatz und eine unterirdische Weihehalle hinzu. Finanziert hat alles der Deutsche Marinebund, seinerzeit strikt national gesinnt, weitgehend antidemokratisch, tief kaisertreu. 1939 wurde er gleichgeschaltet.

1945 wollten die Alliierten die Gebäude eigentlich sprengen. Aber dann wurden sie doch 1954 dem neu gegründeten Deutschen Marinebund e.V. übergeben. Von nun an trifft man hier ehemalige Kriegsteilnehmer und ihre Angehörigen; mit Integration der Bundeswehr in die NATO auch die anderer Nationen. Dazu Vertreter der Vertriebenenverbände und manch ewig Gestrige, die schon mal in der unterirdischen Ehrenhalle mit brennenden Fackeln stramm ihren ganz eigenen Tagträumen nachgehen.

Für viele aber ist es schlicht ein Ausflugsort. Damit es ein Ziel gibt, fährt man mit dem Fördedampfer hin. Nur im Sommer ’68 schauen Nachts einige Kieler Studenten vorbei. Sie haben einen Eimer roter Farbe dabei und am nächsten Morgen finden sich großflächige Parolen, die an den Kieler Matrosenaufstand von 1918 erinnern und eine Umwidmung der Anlage fordern.

Noch einmal fast zwanzig Jahre vergehen, bis der Kieler Journalist Hannes Hansen seine Streitschrift veröffentlicht: „Vorschlag, das Marine-Ehrenmal zu Laboe von dem amerikanischen Künstler Christo einpacken zu lassen“. Er regt an, über den Turm ein überdimensionales Kondom zu ziehen. Christo, dem politische Interpretationen seiner Werke fremd sind, lehnt sofort ab. Doch der Vorschlag führt zu heftigen lokalen Reaktionen: Angehörige sehen das Andenken der Toten beschmutzt. Auch wenn sich die Wogen wieder glätten: Die Diskussion über eine Neuausrichtung des Ehrenmals ist nicht mehr zu stoppen. 1993 endlich beschließt der DMB eine Überarbeitung seines Geländes.

Was seitdem passiert ist? Eine Frage der Perspektive: Für Zivilisten ist es enttäuschend wenig. Für Militärs dagegen ist es Einiges: Sichtbar abgenommen hat die Zahl an Modellen von Kreuzern, U-Booten und Schlachtschiffen, die sonst schnell für eine kindlich-gemütliche Atmosphäre sorgen. Eine neue Ausstellung thematisiert die Geschichte des Ehrenmals selbst und belegt den Wechsel vom Willen zur Revanche zum Wunsch nach Versöhnung. Noch wenig getan hat sich bei der Darstellung der Marinegeschichte: Die deutsche Kolonialvergangenheit bleibt eine nette Episode. Im Ersten Weltkrieg kommt es zwischen feindlichen Schiffen zu Begegnungen und mancher bleibt danach in treuer Pflichterfüllung für immer auf See. Immerhin hat der zuletzt tätige Historiker Dieter Hartwig in die Darstellung des Zweiten Weltkrieges eingegriffen und den Überfall auf Polen dazu geklebt. Dass die deutschen U-Boote einst die schwersten Verluste hinnehmen mussten, aber dafür, wie als Belohnung, die größten Erfolge errangen, prangt dagegen noch unkommentiert in schwarzen Lettern an der Wand.

Betritt der Besucher die unterirdische Halle, die nicht mehr Weihe sondern Gedenkhalle heißt, wird er aufgefordert, sein Haupt zu entblößen und vor allem zu schweigen, was ihren morbiden und bedrückenden Charakter nur unterstreicht. Man steht im Dämmerlicht vor immergrünen Kränzen und schweren Bronzetafeln. Und so finden sich spätestens im Gästebuch selbst in ungelenker Teenagerschrift jene Pathosformeln à la „Sie starben für uns“, als gäbe es da einen jeweils persönlich geschlossenen Auftrag und damit eine ebenso persönliche Verpflichtung.

„Das Interesse ist groß“, sagt der Reiseführer am Ende des Rundgangs. Im Bus will er weitere Fragen beantworten zu einem Ort, der kein Ehrenmal mehr ist, aber noch lange keine Gedenkstätte. Dass auf Internetseiten der norddeutschen Neonaziszene mittlerweile beklagt wird, die bundesrepublikanischen Geschichtsverfälscher hätten nun auch Laboe im Visier, ein Besuch würde sich aber immer noch lohnen, drückt genau diesen Schwebezustand aus.