Meine WM
: Ein verdunkeltes Kapitel

Was Männerseelen bewegt: Redakteure der taz nrw plaudern prägende WM-Erlebnisse aus
Ein einsamer Autocorso, eine peinliche Schampusparty: Wie ich 1982 nach dem Fußballkrimi Franzosen verhöhnte

■ Das beste an dem Sommerurlaub mit Benjamin war der Farbfernseher. Der Rest der Familie fuhr am Vormittag an den Strand, wir blieben lieber im Bungalow. Ließen die Jalousien herunter, die Bildröhre flimmern und meinten damit unsere Souveränität von allen Trends und Moden zu beweisen. Wie keimende 15-jährige so sind: Uns doch schnuppe, wie sich Normalurlauber unter Frankreichs Sonne amüsieren! Wir gucken Fernsehen, na und?! Nein, wieso sollten wir uns langweilen?! Nein, wir wollen nicht braun werden! Nein, wir wollen keine Mädchen kennenlernen!

Eines Abends feierte diese Frankreichurlaubsverweigerung – besser, unsere Marathonsendung aus Radrennen und Segelreportagen – einen Triumph. Wir hatten alle rumgekriegt, saßen zusammen im verdunkelten Wohnzimmer: Mutter, Stiefvater, mein großer Bruder, Schwester samt schlesischer Freundin, Schulfreund Benni und ich. Wir guckten zusammen Halbfinale, Fußball-Weltmeisterschaft 1982 , Sevilla, Deutschland gegen Frankreich, den Fußballkrimi.

Schon in der Verlängerung sprachen wir vom Jahrhundertspiel – und das Spiel wogte wie toll hin und her. Littbarski traf, dann führte Frankreich mit zwei Toren, heimgezahlt wurde das der Platini-Truppe erst von Schumacher, dann von Rummenigge und Fischer. Auch im Elfmeterschießen parierte der Toni zweimal – dann schoss Horst Hrubesch. Aus. Wir schrien vor Glück. Weil wir Frankreich auf französischem Boden schlugen, wollten wir in unserem Erfolgsdusel nicht alleine bleiben. Es musste gefeiert werden. Sechs wild gewordene Deutschlandfans zwängten sich in eine Limousine, rhythmisch hupend rollte unser einsamer Autocorso ins nächtliche Zentrum des kleinen Badeortes am Atlantik. Unter Platanen riefen wir dann siegestrunken nach Champagner, brüllten Schmählieder, der Platz leerte sich sehr schnell.

Dass Frankreichs Nationalspieler Patrick Battiston derweil regungslos und mit eingeschlagenem Gebiss im Krankenhaus lag? Egal. Zum Glück ging es den Franzosen nicht anders. Später erfuhr ich, es wird dort eher Rugby gespielt. Jedenfalls blieben Benjamin und ich am nächsten Morgen nicht die einzigen, die diesen Urlaubstag hinter den Rollläden verbringen wollten.

CHRISTOPH SCHURIAN