Netter Ausflug mit Bierhoff

Wie ich lernte, Oliver Kahn zu lieben (III): Fußballprofi Yves Eigenrauch war das Nationalteam nie nahe. Doch dann stand er für die EM auf Abruf. „Ich hätt ums Verrecken nicht hinfahren wollen“

VON YVES EIGENRAUCH

Ist Fußball die Spielwiese des neuen Bürgertums? Muss man nicht gerade als Linker FÜR Deutschland sein? Die taz-Serie untersucht unser Verhältnis zu Deutschland – dem Fußballteam: Wie ich lernte, Oliver Kahn zu lieben. Zuvor debattierten Klaus Theweleit und Burkhard Spinnen.

Es war im Jahr 1978, als ich mich das erste Mal mit einer Fußball-Weltmeisterschaft auseinander setzte. Das war die WM in Argentinien. Erst ein Jahr zuvor hatte ich damit begonnen, im Verein Fußball zu spielen. Was mich damals an der WM begeisterte, waren jedoch weniger die Spiele – schließlich spielt man im Alter von sieben Jahren lieber selbst Fußball, sondern war eher, die Begegnungen im Fernsehen zu verfolgen.

Was mich begeisterte, das waren die bunten Bilder und Fotos, die es in den Zeitungen zu sehen gab. Besonders angetan war ich von den Spielübersichten samt Mannschaftsfotos und Länderfahnen in der damaligen Fernsehzeitung. Fein säuberlich, oder so wie man es halt von einem Siebenjährigen erwarten kann, wurden diese ausgeschnitten, in eine extra Kladde eingeklebt und in den folgenden Wochen nach und nach mit den Ergebnissen versehen. Bis ich keine Lust mehr hatte, die Ergebnisse einzutragen!

Diesen kleinen Ordner schaue ich mir noch heute gerne an. Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre muss auch die Zeit gewesen sein, in der ich den Bayern-Profi und Nationalspieler Paul Breitner ob seiner nicht hochgezogenen Stutzen und des fortwährend über der Sporthose hängenden Trikots ziemlich doof fand. Klaus Fischer dagegen, Mittelstürmer von Schalke und der Nationalmannschaft, war echt super; die vielen Tore und diese Fallrückzieher. Regelmäßig gab es damals in der E-Jugend bei der Verteilung der Mannschaftstrikots Streit, wer denn nun die Nummer 9 bekäme, die Fischer trug.

Die WM 1982 in Spanien war da in meiner Spieler- und Spielwahrnehmung schon etwas intensiver. Ich glaube mich an Namen wie Karl-Heinz Förster, Hans-Peter Briegel, Karl-Heinz Rummenigge und Harald Schumacher erinnern zu können. Und: bezüglich der Spielwahrnehmung bin ich mir sicher, dass Schumacher in seinem Sportwahn einen Gegenspieler, ich glaube es war ein Franzose, einfach mitten im Feld beim aberwitzigen, gänzlich ohne Humor versehenen Herauslaufen umgehauen hat. Das fand ich ziemlich bescheuert!

Mein Interesse, Spiele am Fernseher oder aber live zu sehen, hielt sich auch in den folgenden Jahren in sehr überschaubaren Grenzen, sodass ich mit der WM 1986 in Mexiko nur die Hand Gottes in Verbindung bringe, dramatische Temperaturen von teilweise über vierzig Grad im Schatten und ungewöhnliche Schattenspiele auf den Spielfeldern, wohl erzeugt von zentral über dem Anstoßkreis gehängten Lautsprechern.

Doch muss ich darauf hinweisen, dass ich in den Achtzigern, um genau zu sein 1982, mein erstes Länderspiel live und wahrhaftig miterlebte. Skurrilerweise in genau jenem Stadion, in dem ich mehrere Jahre später selber spielen sollte: Im Parkstadion Gelsenkirchen spielte Deutschland vs. Österreich.

Doch blieb es bei geringem Interesse. 1990 war ich gerade Profi bei Schalke geworden und befand mich mit dem Club im Trainingslager an der Ostsee. Da hatte ich während des Endspiels nichts Besseres zu tun, als einen Spaziergang zu machen und die Stille des Ortes zu genießen. Wirklich, niemand war auf der Straße, lediglich hier und da waren mehr oder minder laute Stimmen zu vernehmen.

1994 – Erinnerung gleich null, vielleicht muss St. Effenberg genannt werden.

1998 – nach der Katastrophe von Brüssel 1984 das Ereignis im Kontext des Fußballs, das mich am meisten beschämt – David Nivel!

2002 – O. Kahn, ohhh, du armer Schlumpf.

Und: auch in den Neunzigerjahren habe ich ein Nationalmannschaftsspiel live gesehen, 1996 EM-Endspiel im Wembley Stadion in London, Deutschland vs. Tschechien.

Warum mich so wenig zur Nationalmannschaft zog? Schon in frühen Kindertagen fand ich nicht sonderlich viel gefallen an Auswahlmannschaften. In der D-Jugend spielte ich in der Kreisauswahl und fand schon damals das Gebaren der (Aus-)Erwählten ebenso wie die Grüppchenbildung wenig erquickend. Gleiches setzte sich auch in der C- und B-Jugend fort, damals war ich – zumindest temporär – Mitglied der Westfalenauswahl. Doof fand ich auch die jeweiligen Auswahltrainer. Wollte ich dieses genauer begründen, so bräuchte ich wohl mehrere Seiten.

Nee, sie waren einfach nur doof. Insbesondere einen Verbandstrainer könnte ich hier erwähnen, doch seine Namensnennung wäre die Anstrengung meiner Finger nicht Wert.

Es bleibt mir auch heute ein Rätsel, wie schon in solch Jugendjahren der Leistungsgedanke dermaßen im Vordergrund stehen konnte und sicherlich auch nach wie vor steht. Abgesehen von der sozialen Kompetenz der Person, die gegen null tendierte. Hauptsache ich schreibe Bücher! Das soll es auch zu diesem Thema gewesen sein.

Auswahlmannschaften, also auch Nationalmannschaften, waren mir nie nahe. Vielleicht auch aufgrund der gemachten Erfahrungen. Daran änderte sich auch nichts, als ich – es war wohl 1994 – zu einer Sichtung des DFB eingeladen wurde.

Was mich damals tröstete, war der Umstand, dass auch mein damaliger Mitspieler Jens Lehmann eingeladen worden war. Wenigstens ein bekanntes Gesicht, wo ich doch, laut Annahme eines Medienvertreters, wohl eher zu den Misanthropen der menschlichen Rasse gehörte.

Vielleicht hatte er Recht?

Nun gut. 1996, kurz vor der EM in England, gehörte ich nicht zum Kader, stand aber auf Abruf und war, nachdem ich dem DFB keine Handynummer hinterlassen hatte, froh, dass sich der Spieler – ich weiß gar nicht mehr, wer es war – erst nach Ablauf der Nachnominierungsfrist verletzt hatte. Puuuh! Vielleicht stimmt diese Geschichte ja auch gar nicht? Einzig, dass ich ums Verrecken nicht hätte da hinfahren wollen, weiß ich!

Mensch, selbst die Ereignisse im Jahr 1997/1998 unter B. Vogts und E. Ribbeck konnten mich nicht umstimmen. Ich war mit der deutschen Nationalmannschaft auf Studienreise. Sie führte mich über Frankfurt nach Bursa bzw. Istanbul – hier logierten wir in einem ehemaligen, unmittelbar am Bosporus liegenden Sultanspalast – und anschließend nach Moldawien. Zwei Spiele waren im Rahmen der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Frankreich zu absolvieren. Die Pressekonferenzen waren da ebenso interessant wie die vielen Sicherheitsleute vor, während und nach den Trainings. Die Städte zu bereisen war bei weitem interessanter als die Mitspieler kennen zu lernen.

Besonders nett fand ich bei dieser großen Reise jedoch die Fahrt mit Jens Lehmann, Oliver Bierhoff und Marco Bode vom Hotel in Istanbul zu einer Sightseeingtour. Als Resümee bleibt festzuhalten, dass ich annehmen kann, dass Klinsmann und Co. auch in diesem Jahr keinen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen werden. So mag es sein!

Schade eigentlich!