Der Luftwurzler

BUCHSTABEN & EXISTENZEN Madjid Mohit hat seinen Sujet-Verlag zur ersten Lyrik-Adresse der Stadt entwickelt

Von HENNING BLEYL

Madjid Mohit mag Ironie, freundliche Ironie. Wenn er aus seinem neuen Verlagsbüro auf die Hochstraße guckt, sagt er zum Beispiel: „Ein bisschen erinnert mich das an Teheran.“

Das klingt lustig, angesichts des Dimension-Gefälles zwischen dem Dorf mit Straßenbahn und der persischen Millionen-Metropole. Oder lässt das Straßenschlüchtchen namens Breitenweg in Mohit tatsächlich Bilder der Stadt aufscheinen, aus der er vor 20 Jahren mit gefälschtem Pass flüchtete? Sicher ist zweierlei: Wer über Bremen Scherze macht, fühlt sich hier irgendwie wohl. Und: Mohits Sujet-Verlag ist in einem neuen Stadium angekommen.

Die erste Station war Gröpelingen, wo Mohit, nach zwei Jahren im Vechtaer Auffanglager für Asylbewerber, mit einer Ein-Mann-Druckerei für Speisekarten und einem Ein-Buch-Verlag begann: Mahmood Falakis zum Teil finstere Erzählung „Die Schatten“. Dann der Umzug in die Friesenstraße, schon mit Mischkonzept: Gewerbliche Druckaufträge finanzieren das beginnende Literaturprogramm. Und nun: Wieder raus aus der kuscheligen Viertel-Seitenstraße, rein in die raue Welt der Bahnhofsvorstadt.

„Hier ist weniger Platz für Druckmaschinen, aber mehr Raum zum Denken“, sagt der 51-Jährige. Ökonomisch ist es ein gutes Zeichen, dass sich der Verlag diese Akzentverschiebung leisten kann, und inhaltlich ist tatsächlich viel Neues entstanden. 20 Bücher hat Mohit 2013 herausgebracht, darunter einiges aus der Reihe „Luftwurzel-Literatur“. „Ich wollte einen neuen Begriff finden“, sagt Mohit, in Abgrenzung zur eher negativ konnotierten „Exilliteratur“. Bei „Luftwurzeln“ stünden „die bereichernden Aspekte des Exils“ im Vordergrund: „Wir leiden nicht unter unserer Situation und orientieren uns nicht primär an unserer Vergangenheit in einer anderen Heimat“, sagt Mohit. Wer etwa Mahmood Falakis Sammlung satirischer Kurzgeschichten unter dem Titel „Ich bin Ausländer und das ist auch gut so“ liest, die kürzlich bei Sujet erschien, spürt sofort, was gemeint ist.

Mohit kommt aus einem Land, in dem Lyrik traditionell in großen Auflagen verlegt wird. Er hat es kurz nach der Rushdie-Fatwa verlassen. Sein Freund Seyed Ali Salehi hingegen lebt noch immer im Iran, seine Lyrikbände erscheinen dort in fünf Auflagen mit jeweils 3.000 Exemplaren – in Deutschland undenkbar. Hier hingegen ist es durchaus ein Erfolg, dass Mohit 300er-Auflagen mit Salehi-Gedichten schafft. Die beiden kennen sich seit den 80er-Jahren, haben viel Zeit gemeinsam im Amt für Zensur verbracht, wo sie für Druckerlaubnis und Papierzuteilung kämpften. Doch als Salehi im Oktober auf Einladung der Frankfurter Buchmesse nach Deutschland reisen wollte, um hier über Zensur-Erfahrungen zu sprechen, scheiterte das Vorhaben an der deutschen Botschaft in Teheran.

Deren Visa-Abteilung legte nicht nur ihm, sondern auch zahlreichen anderen Iranern derart viele Steine in den Weg, dass Salehi die in Deutschland geplanten Lesungen und Diskussionen absagte. „Bösartig, einschüchternd und beleidigend“ sei die Behandlung durch das deutsche Botschafts-Personal gewesen, berichtet Salehi anhand vieler Details. Die Folge: „Das gesamte unmenschliche Verhalten hat mich von der Reise nach Deutschland abgehalten.“

Salehi hat durchaus Vergleichsmöglichkeiten: Einladungen nach Schweden, England, Kanada und in die USA konnte er problemlos folgen. „In den Botschaften dieser Länder habe ich immer ein sehr respektvolles, freundliches und menschliches Verhalten erlebt“, sagt Salehi.

Trotz solcher Rückschläge verfolgt Mohit beharrlich das Ziel, seine internationalen Autoren, wann immer möglich, nach Deutschland zu bringen – was für einen kleinen Verlag wie Sujet eine erhebliche finanzielle und logistische Mühe bedeutet.

Hinter Mohits Stuhl stapeln sich prächtige Bände auf dem Boden, mit grünem Rücken und persischer Beschriftung, eine Erinnerung an Mohits Verlegerleben vor dem Exil. Schon sein Großvater brachte das erste deutsch-persische Wörterbuch heraus. Seitlich geht der Blick aus dem Fenster über die Gleisbrachen, Mohit sitzt im vierten Stock eines funktionalen Gebäudeblocks. Unten ein Hifi-Laden, in der Mitte Leerstand, oben Literatur – keine schlechte Mischung. Mittlerweile ist Sujet kein Ein-Mann-Unternehmen mehr, sie sind zu dritt, dazu kommt ein freiberufliches Lektoren-Team verschiedener Muttersprachler.

Neben der Lyrik, frankophoner Literatur und einem Kinderprogramm setzt Mohit auf seine Kontakte zu zahlreichen Autoren, die wie er Luftwurzler sind. Amin Zaoui zum Beispiel. Der Algerier musste längere Zeit in Paris Zuflucht suchen, seither schreibt er auch auf französisch – über Themen wie Erotik im Islam. Sein „Zimmer der unkeuschen Jungfrau“ war ein ziemlicher Erfolg auf der Leipziger Buchmesse, bei der Sujet seit ein paar Jahren regelmäßig präsent ist. Für die Publikation in Algerien wurde es vom Französischen ins Arabische übersetzt.

„Direkt auf Arabisch hätte Amin das so nicht schreiben können“, sagt Mohit. Der Umweg über Französisch habe die Schere im eigenen Kopf überlistet. Auch das kann ein Aspekt des Luftwurzeltums sein: Komplexe kulturelle Identitäten eröffnen innere Freiräume.

Im Nebenraum surrt sanft die Druckmaschine, eine gibt es noch, gerade entlässt sie einen neuen Gedichtband in die Welt. Sujet hat sich als der Verlag der Bremer Lyrik-Szene etabliert, Mohit verlegt die Stolperstein-Dokumentation der Landeszentrale für Politische Bildung, Mohit stiftet fruchtbare Kooperationen mit den bildenden Künstlern der Stadt, was immer wieder zu bemerkenswerten sprachlich-visuellen Koproduktionen führt.

Gerade herausgekommen ist beispielsweise der wunderbare Gedichtband „Geboren in ein verworrenes Lied“: Mohit selbst hat dafür die Lyrik von Salehi übersetzt, Lothar Bührmann, Preisträger der Villa Ichon, entwickelte dazu bemerkenswerte Miniaturen, die von der Spannung zwischen farbenfroher Aquarell-Flächigkeit und präzise kontrastierenden Grafikelementen leben.

Diese Geschichte ist schön, und sie ist wahr. Ein von weither kommender Verleger, der einen Band wie „Bremen verdichtet“ herausgibt und die Bremer AutorInnen im Dutzend motiviert, dafür ortsspezifische Impressionen beizusteuern, ist in der Stadt nicht nur offensichtlich angekommen. Er ist ihr eine bemerkenswerte Bereicherung.

Dienstag (19 Uhr) veranstaltet Sujet mit dem Bureau du Livre eine Lesung und Filmvorführung im Institut Français (Contrescarpe 19). Der renommierte Regisseur Eugène Green liest aus seinem bei Sujet erschienenen Roman „Der Wiederaufbau“, anschließend wird sein Film „Le Pont des Arts“ gezeigt