Die Genmais-Lüge

Geheime Experimente mit genmanipuliertem Mais und Raps in Schleswig-Holstein schon seit acht Jahren. Gegen politischen Widerstand legte Landwirtschaftskammer Versuchsfläche an. Grüner Ex-Umweltminister beteuert seine Machtlosigkeit

Von Esther Geißlinger

Der Sündenfall ist längst geschehen. Seit Jahren werden in Schleswig-Holstein genmanipulierte Pflanzen auf Versuchsflächen der Landwirtschaftskammer ausgesät. Seit 1998 experimentierte die Kammer auf ihrer Versuchsfläche in Futterkamp (Kreis Plön) regelmäßig mit gentechnisch verändertem Mais und Raps. Und das, obwohl im Kieler Umweltministerium die Grünen Rainer Steenblock und Klaus Müller auf dem Chefsessel saßen.

Pikant ist zudem, dass Schleswig-Holstein bis vor kurzem – als einzige Region in Deutschland – dem „Verband gentechnikfreier Regionen“ angehörte und sogar Gründungsmitglied dieses Netzwerkes war. Der Verband, dem 36 Regionen aus acht Ländern der EU angehören, setzt sich dafür ein, gentechnikfreie Zonen zu bewahren und das Interesse am Thema wach zu halten, nach dem Motto: Wehret den Anfängen. In Schleswig-Holstein ging das offenbar schief.

Mit einer Podiumsdiskussion und Protestbriefen an die Landwirtschaftskammer haben Bio-Landwirte und aufgeschreckte Verbraucher in den vergangenen Wochen versucht, die vermeintlich erstmalige Aussaat von gentechnisch verändertem Mais an zwei Orten in Schleswig-Holstein zu verhindern (Text unten). „Keine Frage, wir hätten schon damals Protest eingelegt, wenn wir von diesen Versuchen gewusst hätten“, sagt Carola Ketelhodt vom Bioland-Landesverband, auf Anfrage der taz.

Ein deutlicher Unterschied zu den aktuellen Freilandversuchen sei jedoch, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert hätten: „Früher gab es ein Verbot, diese Pflanzen zu verwenden. Heute darf es jeder Landwirt. Damit sind heutige Tests der Kammer wirkliche Vorläufer für die Praxis. Das hat eine andere Qualität als die quasi geheimen Versuche vor einigen Jahren.“

Klaus Müller, der ehemalige Umweltminister und noch Mitglied der bündnisgrünen Landtagsfraktion, ist zurzeit im Urlaub. Er ließ über den Fraktionssprecher Jörg Nickel mitteilen, er habe sich immer gegen die Versuche ausgesprochen, aber kein Veto einlegen können. Seine Ablehnung habe keine rechtlichen Folgen gehabt, die Kammer habe trotzdem die Versuche durchführen dürfen.

Die rot-grüne Landesregierung, Gegnerin der Genmanipulation, habe genau geprüft und versucht, einzelne Versuchsreihen zu verhindern, wenn dies möglich war. „Wir haben getan, was wir tun konnten“, so der Fraktionssprecher. Das Scheitern des Ministers zeige auch die Machtlosigkeit des „Verbands gentechnikfreier Regionen“, der ein reiner Lobbyverband ohne rechtliche Befugnis sei.

Eben so begründete übrigens der heutige Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher (CDU) die Entscheidung der Großen Koalition, aus dem Verband auszutreten. Die grüne Fraktion hat den Minister dafür scharf kritisiert: Der Austritt schädige „Schleswig-Holstein als vertrauenswürdigen landwirtschaftlichen Standort und als Werbeträger für eine gesunde Umwelt“.