Viel Respekt in Brüssel

EU-Politiker sehen nach dem Unabhängigkeitsvotum in Montenegro nun die Staatengemeinschaft in der Pflicht

„Nun ist die EU am Zug. Wenn der Unabhängigkeitsprozess voranschreitet, muss der Rat den neuen Staat anerkennen“

BRÜSSEL taz ■ Die Reaktion war einhellig: Politiker aller Parteien riefen gestern in Brüssel dazu auf, das Votum des Volks von Montenegro für Unabhängigkeit zu respektieren. Die CDU-Abgeordnete und Balkan-Spezialistin Doris Pack sagte, das Ergebnis erfülle unzweifelhaft die Vorgaben der EU. „Serbien wie Montenegro haben es nun in der Hand, ihre Zukunft frei zu gestalten. Diese liegt klar in der Beitrittsperspektive beider Länder zur Europäischen Union.“

Der slowenische Liberale Jelko Kacin, Leiter der Beobachtergruppe des EU-Parlamentes in Montenegro, sagte: „Nun ist die EU am Zug. Wenn der Unabhängigkeitsprozess voranschreitet, muss der Rat diesen neuen europäischen Staat anerkennen.“ Der grüne Abgeordnete Milan Horacek, der ebenfalls der Beobachtermission zum Referendum angehört hatte, forderte: „Die Europäische Union muss den Weg beider Staaten unterstützen, die Beitrittsverhandlungen Montenegros neu definieren und das Land auf dem Weg in die Unabhängigkeit begleiten.“

Der Rat der europäischen Regierungen und vor allem deren außenpolitischer Sprecher Javier Solana hatte sich vor drei Jahren stark dafür eingesetzt, die staatliche Einheit Serbiens und Montenegros zu erhalten, um die weitere Zersplitterung des Balkans aufzuhalten. Sollte Montenegro sich abspalten, so die Befürchtung, würden auch im Kosovo die Forderungen nach staatlicher Eigenständigkeit wieder lauter. Auch Russland beobachtet diese Entwicklung mit Argwohn, weil es nationalistische Bestrebungen in den eigenen Teilrepubliken fürchtet. Deshalb hatten die EU-Staaten verlangt, mindestens 55 Prozent der im Referendum abgegebenen Stimmen müssten sich für einen eigenen Staat Montenegro aussprechen, damit das Ergebnis von der Staatengemeinschaft anerkannt werden könnte. Einige Abgeordnete hatten diese von der EU einseitig beschlossene Legitimationsschwelle im Vorfeld als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Landes kritisiert.

Seit 2004 ist Serbien-Montenegro in die europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftspolitik einbezogen. Auf dem Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 hatten die Staats- und Regierungschefs erklärt, dass die Republik mittelfristig EU-Mitglied werden könne. Seither werden unter anderem die Wirtschaftsordnung, Justiz und Verwaltung mit europäischer Hilfe auf EU-Standards hin reformiert.

In einem Fortschrittsbericht stellte die Kommission im April 2005 fest, dass Serbien-Montenegro genügend vorbereitet sei, um Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit der EU aufzunehmen. Nach der Trennung beider Teilrepubliken soll dieses Abkommen mit Serbien fortgeführt werden. Für Montenegro sollen gleichzeitig getrennte Verhandlungen beginnen.

Wie geht es jetzt weiter? Schon im Januar dieses Jahres legte der EU-Außenministerrat für Exjugoslawien eine Liste von Schlüsselbereichen fest, in denen Fortschritte erwartet werden: Reform der öffentlichen Verwaltung, Reform des Justizapparates, demokratische Kontrolle der Armee, gute Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, Respekt von Menschen- und Minderheitenrechten, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption. Montenegro – und vor allem Serbien – hat noch einen weiten Weg zu gehen.

DANIELA WEINGÄRTNER