DAUMENKINO
: Jung & schön

Als sein Film „Jung & schön“ im Mai in Cannes Premiere hatte, meinte der französische Regisseur François Ozon in einem Interview mit dem Hollywood Reporter, Prostitution sei in der Psyche der Frau tief verankert, weil käuflicher Sex derer Sehnsucht nach Passivität entgegenkomme.

Der Film selbst ist ein gutes Stück klüger, als nach einer derart billigen Provokation zu befürchten war, und gibt gar nicht erst vor, die Frage beantworten zu können, die sich gleichwohl wie von selbst stellt: Was bringt die Schülerin Isabelle dazu, nach dem Unterricht Termine mit Männern vornehmlich fortgeschrittenen Alters auszumachen und dann in wie extra für diesen Zweck ganz besonders unterkühlt eingerichteten Hotelzimmern mit ihnen zu schlafen? Ozon entwirft „Jung & schön“ dezidiert nicht als Problemfilm, es gibt keine „Umstände“, die das Mädchen aus solide bürgerlichem Elternhaus in die Prostitution drängen, aber eben auch keine psychischen Dispositionen, Krisen, Traumata. Worauf Ozon mit seiner elegant inszenierten, aber insgesamt etwas blutleeren Variation auf Luis Buñuels Klassiker „Belle de Jour“ stattdessen hinaus will, ist allerdings auch nicht klar, erst recht nicht, wenn die Situation in der zweiten Filmhälfte eskaliert, nachdem eines Tages eine Leiche im Hotelbett liegen bleibt. Über Umwege schleicht sich am Ende jedenfalls doch wieder die vorher geschickt ausgesperrte Moral in den Film.

Eine Stärke des Films allerdings ist seine Hauptdarstellerin: Marine Vacth, eine Newcomerin in einer ihrer ersten Rollen, verleiht ihrer Figur eine faszinierende Unlesbarkeit. Über weite Strecken wirkt ihr fast schlafwandlerisch anmutendes Spiel so, als würde sie ein wenig außer sich stehen und genauso nüchtern auf ihr eigenes Leben blicken, wie der allen naheliegenden Melodramen aus dem Weg gehende Film das tut: Der erste Sex im Urlaub (mit einem sehr blonden Deutschen), bald darauf die ersten gewerblichen Kontaktaufnahmen, das immer dicker werdende Bündel Banknoten im Kleiderschrank, die schrittweise Entfremdung von der Familie, auch vom jüngeren Bruder, der lange fast ein Komplize zu sein scheint – all das fühlt sich ziemlich nüchtern und abgeklärt an, keineswegs wie aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen. Was in der besseren Momenten des Films durchscheint, ist das durchaus verstörende Protokoll einer Jugend ohne Jugend. LUKAS FOERSTER

■ „Jung & schön“. Regie: François Ozon. Mit Marine Vacth, Charlotte Rampling u. a. F 2013, 93 Min.