Bezirk verramscht seinen Trödelmarkt

Jedes Wochenende schlendern tausende Besucher über den Trödelmarkt an der Arena in Treptow. Doch das Ordnungsamt des Bezirks will das sonntägliche Feilschen nicht länger dulden: Es verweigert die Genehmigung. Dem Markt droht das Aus

Bis zu 400 Arbeitsplätze hängen an dem Markt, schätzt der Betreiber

Von TORSTEN GELLNER

Michael Tenz hat wieder angefangen zu rauchen. 40 Jahre hatte er diesem Laster gefrönt – die Stimme verrät es – und dann über Nacht aufgehört. Und wäre da nicht „diese Geschichte“, hätte er es durchgezogen – da sei er sich sicher, erzählt der 62-Jährige durch den Qualm seiner Kippe. Seit 1997 betreibt Tenz mit einem Partner den Trödelmarkt an der Arena in Treptow. Ein Hallentrödel, der in Berlin einmalig ist. 2.000 überdachte Quadratmeter, knapp 60 Stände, bis zu 10.000 Besucher am Wochenende. Eine Erfolgsgeschichte: In keinem Stadtführer fehlt der Trödel in der Eichenstraße 4. Nur weiß keiner, wie lange es den Markt noch geben wird. Denn Michael Tenz hat Probleme mit dem Bezirksamt. Das ist „diese Geschichte“, die ihn wieder zum Rauchen brachte.

„Vor zwei Jahren fing der Ärger an“, erinnert sich Tenz. Er sitzt in einem Büro, das in seiner improvisierten Einrichtung gut zum benachbarten Trödelsortiment passt. Vor ihm liegen die Schreiben vom Ordnungsamt und der „Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes“. Den hat Tenz jetzt beim Verwaltungsgericht gestellt, um das Überleben seines Markts zu sichern. Denn das Ordnungsamt Treptow-Köpenick will den Trödel dichtmachen: Es hat die Ausnahmegenehmigung, die Tenz braucht, damit er sonntags öffnen darf, in diesem Jahr erstmals nicht erteilt. Der Markt verstoße damit gegen das Ladenschlussgesetz und soll Ende Mai seine Pforten schließen – zumindest am Sonntag.

Das stößt Tenz sauer auf: „Sonntag ist der klassische Trödeltag. Wenn der wegfällt, rentiert sich das hier nicht mehr.“ Die Gründe des Ordnungsamts versteht er nicht. Seit zwei Jahren habe es immer etwas anderes zu bemängeln. „Erst hieß es, der Flohmarkt sei gar keiner, weil er ein Dach über den Kopf hat“, berichtet Tenz. Dann hätte das Amt kritisiert, dass die Stände wie bei einem Flohmarkt üblich unter der Woche nicht abgebaut würden. Und jetzt: Der Flohmarkt sei gar keiner, weil dort teilweise Neuware verkauft werde. Dass es ein paar Stände mit „neuwertiger Konkursware“ gibt, räumt Tenz ein. Aber: „Das ist doch auf jedem Flohmarkt so.“ Er hätte diese Händler sofort rausgenommen. Doch auf Gesprächsangebote habe die Behörde nicht reagiert. Heino Berg vom zuständigen Ordnungsamt will sich mit Hinweis auf das schwebende Verfahren zu der Sache nicht äußern.

Tenz ist eigentlich kein Flohmarktveteran. 15 Jahre hat er im U-Bahnhof Kaiserdamm gestanden und Curry-Würste verkauft. Morgens im Dunkeln unter die Erde, nachts im Dunkeln wieder nach oben. Eine „dezente Leichenblässe“ habe ihn damals geziert. Auf die Idee mit dem Trödelmarkt brachte ihn ein Imbisskunde, erzählt Tenz, nunmehr mit einer gesunden Bräune im Gesicht. „Der hat von der leer stehenden Halle in Treptow gewusst – so kam die Sache ins Rollen.“ Vorbild seien diese „fantastischen Märkte von Paris oder London“ gewesen, die ihn schon immer fasziniert hätten. So was wollte er in Berlin aufziehen. Viel Zeit und Geld hat Tenz mit seinem Partner in das Projekt gesteckt. Mit Erfolg: „Es lief prima, Händler und Kunden waren zufrieden, der Markt ist eine Berliner Institution geworden.“

Dass es sich für ihn gelohnt hat, merkt man, sobald man mit ihm über den Markt spaziert. Ständig bleibt er bei seinem Weg durch die engen Gänge irgendwo stehen. Es gibt viel zu entdecken, auch noch für ihn, der jeden Samstag und jeden Sonntag hier seine Runden dreht. „Ist das nicht geil?“, fragt der 62-Jährige und zeigt auf einen Stand mit russischen Filmprojektoren. Oder an einer anderen Ecke: „Diese Möbel, wo kriegt man das heute noch zu dem Preis?“ Und dann der kleine Stand, an dem mehrere hundert Uhren geradezu kunstvoll arrangiert sind. Standuhren, Küchenuhren, Pendeluhren, Kuckucksuhren, Taschenuhren, Tischuhren – und alle ticken. „Gott sei Dank“, sagt Tenz, „bin ich selbst kein Trödelsammler. Sonst würde ich hier arm werden.“ Die Werbung in eigener Sache beherrscht er offenbar auch.

Etwa 300, vielleicht auch 400 Arbeitsplätze hängen an dem Markt, schätzt der Betreiber. Die Mehrheit der Händler ist nichtdeutscher Herkunft. Das mit der drohenden Schließung hätten die meisten noch nicht so ganz begriffen. „Erklären Sie mal jemandem, der nur gebrochen Deutsch spricht, die deutsche Bürokratie – die versteht ja eh kein Mensch.“ Anfangs hat er bewusst nichts vom Zoff mit dem Ordnungsamt berichtet. „Ich wollte hier keine Unruhe reinbringen“, sagt er.

Was das Besondere an seinem Trödelmarkt sei? Der Trödelchef muss nicht lange überlegen. „Die Internationalität. Hier arbeiten Nationalitäten miteinander, die sich sonst die Birne einschlagen. Und die ganze Atmosphäre: der Trubel, das Feilschen – wie auf einem Basar.“ Im Laufe der Zeit ist der Markt immer orientalischer geworden: Die Leute feilschen heute mehr als früher, sie haben weniger Geld. Das hat auch Bülent Demirkol beobachtet. „Früher haben die Leute eine ganze Schachtel mit Schrauben gekauft“, erzählt er. „Heute kaufen sie zwei, drei Schrauben, so viel, wie sie halt gerade brauchen.“

Seit 1999 handelt Demirkol in Treptow mit allem, was ihm so in die Finger kommt – beziehungsweise was von Firmen nach der Insolvenz übrig bleibt: überdimensionale Schraubzwingen, alte Schleifmaschinen, Bohrer, Industrielampen, Kabel und Stecker, hunderte Kästchen mit jenen Schrauben, die sich heute bevorzugt einzeln verkaufen. Das alles ist zu einem kunstvollen Chaos arrangiert, in dem der Trödler mit dem mächtigen Schnauzbart selbst manchmal den Überblick verliert. Es komme schon vor, gesteht er, dass ein Kunde den Preis für irgendein Ding wissen will und Demirkol erst mal stutzt: „Was, das gehört mir?“

Tenz und Demirkol verstehen sich gut. Sie scherzen viel, jetzt erst recht, wie es scheint. 34 sei er, sagt der türkischstämmige Händler. „Siehst aber älter aus“, findet Tenz. Beide eint die Ratlosigkeit angesichts der Berliner Bürokratie. „Die produziert Hartz-IV-Empfänger“, sagt Tenz, und Demirkol ergänzt: „Wir bekommen kein Geld vom Staat, wir geben ihm Geld, zahlen unsere Steuern.“ Bülent Demirkol will, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Vielleicht hat er Glück. Weil das Ordnungsamt nicht auf die Gesprächsangebote von Michael Tenz eingegangen ist, hat er sich an die Politik gewandt. Neulich hat er mit Exsozialsenatorin Gabriele Schöttler von der SPD über die Sache gesprochen. Sie hat ihm versprochen, sich bei Bezirksbürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) für den Markt einzusetzen. Und der habe prompt sein Interesse am Erhalt des Trödels signalisiert. „Ich bin guter Dinge“, sagt Tenz und zündet sich noch eine Zigarette an. Er hatte nur sechs Wochen aufgehört und dann wieder angefangen – im Gespräch mit der Exsenatorin über das Ordnungsamt, die Bürokratie und die Produktion von Hartz IV.