DIE DREI FRAGEZEICHEN
: „Ein kleiner Nebenverdienst“

Wie bitte? Statt zu betteln, sammelt ein Obdachloser aus Florida Bitcoins und kauft mit der virtuellen Währung reale Dinge

„Ich kann mir durch Bitcoins jetzt zwei, drei Mal im Monat eine Pizza leisten“

taz: Herr Angle, welche Rolle spielen Bitcoins in Ihrem Alltag?

Jesse Angle: Sie sind für mich wie ein kleiner Nebenverdienst. Um Bitcoins zu verdienen, schaue ich jeden Tag auf YouTube ein Dutzend bestimmter Videos. Pro Film erhalte ich 0,00004 Bitcoins, umgerechnet knapp einen US-Cent. Außerdem benutze ich die App „Bitcoin Tapper“. Dort kann man täglich ein paar Cents verdienen, wenn man auf ein Symbol klickt. Der Großteil meiner Bitcoins wurde mir jedoch gespendet, von Freunden und Menschen, die meine Geschichte in Internetforen gelesen haben. Wenn ich genügend Bitcoins gesammelt habe, tausche ich sie über mein Smartphone in Gutscheine, mit denen ich dann reale Dinge wie Pizza kaufen kann. Zwei Freunde und ich haben so bislang über 650 Dollar verdient.

Würden Sie sagen, dass Bitcoins Ihr Leben verändert haben?

Ich finde, sie sind eine tolle Sache. Es gibt keine Steuern auf Bitcoins und man kann ihren Gebrauch nicht überwachen. Außerdem kann man nicht ausgeraubt werden. Außerdem ist es viel angenehmer, sich durch Bitcoins etwas dazuzuverdienen als durch Betteln. Ich kann mir durch Bitcoins jetzt zwei, drei Mal im Monat eine Pizza leisten. Ansonsten lebe ich von Lebensmittelmarken. Ich bin seit fünf Jahren obdachlos, aber durch Bitcoins komme ich jetzt vielleicht von der Straße runter. Hier in Pensacola, Florida, gibt es ein Obdachlosenzentrum, das komplett durch Bitcoins finanziert ist. Auf dem Gelände werden gerade Wohnungen für Menschen wie mich gebaut. Eventuell kann ich dort leben und als Hausmeister arbeiten.

Wie finanzieren Sie als Obdachloser eigentlich Ihr Smartphone?

Ich muss keine Rechnungen bezahlen. Ich trinke nicht und nehme keine Drogen. All mein Geld gebe ich nur für Essen, Kleidung und Gadgets aus. Manchmal repariere ich auch Computer oder mache andere kleine Nebenjobs. Und Sie müssen wissen, dass es WLAN und Strom hier kostenlos in der öffentlichen Bibliothek gibt. INTERVIEW: ROBERT IWANETZ

■ Jesse Angle, 42, arbeitete als Webdesigner, bevor er obdachlos wurde. Er lebt in Pensacola, Florida