PRESS-SCHLAG
: Felix, der einsame Trottel

LÜGENBOLDE Mit ein wenig Ehrlichkeit und der Hinwendung zu moderner Technik gäbe es keine Phantomtore wie in Hoffenheim

Nun wird heftigst diskutiert: Wie konnte ein Loch ins Netz kommen und wie das Schiedsrichterteam dieses Loch bei der Prüfung vorm Spiel und in der Halbzeit übersehen? Haben der Leverkusener Torschütze Kießling und andere Bayer-Profis gesehen, ob der Ball einen Umweg ins Tor genommen hat? Und wenn ja, hätten sie das nicht dem Schiedsrichter sagen müssen? Warum hat der vierte Offizielle nicht interveniert? Hat Schiri Felix Brych einfach alles falsch gemacht? All das sind berechtigte Fragen. Aber die entscheidende Frage lautet: Wie anachronistisch ist eine Branche, die sich seit Jahren dagegen sträubt, Schiedsrichtern technische Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, Mittel, die derlei absurde und spielentscheidende Fehlentscheidungen ausschließen? Und das immer auch mit dem verlogenen Argument, man müsse die Autorität des Schiedsrichters schützen.

Her mit dem Falkenauge!

Der Schiedsrichter, in diesem Fall der auf die WM-Teilnahme hoffende Brych, steht als hilfloser, einsamer Trottel da. Und das im Technologiezeitalter quasi im Echtzeitmodus. Wer oder was wird hier eigentlich geschützt? Die technischen Mittel, solche Fehlentscheidungen zu vermeiden, gibt es ja schon lange. „Wir leben ja nicht mehr im „fünften Jahrhundert“, bemerkte Hoffenheims Trainer Markus Gisdol nicht ohne Sarkasmus. In Englands Premier League kommt seit dieser Saison das System „Hawk Eye“ zum Einsatz, das schon einige Zeit im Tennis Anwendung findet. Die Installation hat nur 2 Millionen Euro gekostet, angesichts der Milliardenbeträge im Profifußball eine lächerliche Summe.

In Deutschland will die DFL die Torlinientechnologie frühestens in der übernächsten Saison einsetzen, der DFB sprach sich nun am Wochenende für die Einführung aus. Angeblich, so Klubvertreter, stecke die Technologie aber noch in den Kinderschuhen. Ketzerische Frage: Würde nicht ein kurzer Blick des Schiedsrichters oder des vierten Offiziellen auf die Wiederholung der Szene im TV genügen, um Klarheit herzustellen? Im Eishockey oder im US-Sport gibt es den TV-Beweis schon lange.

Die Bundesliga ist ja vor allem – ein Milliardengeschäft. Mit Moral und daraus sich ergebender Vorbildfunktion tut sich die macht- und geldgetriebene Branche schwer. Wäre es in diesem eigentlich banalen Fall zu viel verlangt gewesen, wenn ein Leverkusener Spieler zum Schiedsrichter gesagt hätte: Hallo, kein Tor! Torschütze Stefan Kießling dachte ja zunächst, der Ball sei vorbeigegangen und drehte sich haareraufend ab. Dem Schiedsrichter gab er dann aber eine verschwiemelte Erklärung zum Geschehen. Auch andere Leverkusener wie Stefan Reinartz, der in die Richtung des Tores schaute, während der Ball Richtung Außennetz flog, behauptete später, alles sei zu schnell gegangen. Ob man das glauben muss?

Der offizielle Sport antwortet auf Nachfragen in Sachen Fairplay, Doping oder Spielmanipulation oft mit der vermeintlich entlastenden Gegenfrage: Warum sollten der Sport und die Sportler besser sein als die Gesellschaft, in die sie eingebettet sind? Gegenfrage: Warum eigentlich nicht?

TOBIAS SCHÄCHTER