Der Basar von Marzahn

Märkte, Kaufhäuser, Basare – die Welt ist voll von Orten, an denen sich Menschen treffen, um einzukaufen. Nun also in Einkaufszentren, die in Deutschland immer größer werden. Derzeit gehört das Eastgate noch zu den größten. Das Einkaufszentrum versorgt den Berliner Osten mit Kleidern

Auf der Märkischen Allee nebenan fahren täglich 50.000 Autos. Herr Treuber hat sie zählen lassen

VON CHRISTINE BERGER

Arians Augen leuchten. 20 Etagen übereinander, Hochhäuser am laufenden Meter. Das findet die Siebenjährige gut. Und dann noch dieses Einkaufszentrum. Bequem zu erreichen von der S-Bahn aus. Wie eine Zunge streckt sich die Brücke zum Bahnhof hin. Das Parkhaus sieht aus wie eine riesige begrünte Hecke und fasst 1.600 Autos.

Ralph Treuber ist zufrieden mit seinem Haus. Vorher leitete er ein Shoppingparadies in Kassel, seit November ist er in Marzahn Chef. Eifrig zeigt er auf einer Wandkarte im Managementbüro das Berliner Einzugsgebiet. „681.000 Einwohner!“, ruft er und erklärt den Unterschied zwischen Kerneinzugsgebiet, Naheinzugsgebiet und theoretischem Einzugsgebiet. „Früher konnte man im Osten noch nicht mal vernünftig Schuhe kaufen.“ Die Bewohner Marzahns hätten in die Innenstadt fahren müssen. Das sei jetzt anders.

„Die Idee des Einkaufszentrums ist uralt“, erklärt Treuber und macht eine Kunstpause. „Nur dass das früher Basar hieß“, ergänzt er und schaut, ob sein Vergleich Wirkung erzielt. Im Geiste ziehen Bilder von kahl rasierten Teppichhändlern auf mit Lonsdale-Shirts und Springerstiefeln. Die Wirklichkeit ist dagegen nüchtern.

Märkte, Kaufhäuser, Basare – die Welt ist voll von Orten, an denen sich Menschen treffen, um einzukaufen. Nun also in Einkaufszentren, die in Deutschland immer größer werden. Derzeit gehört das Eastgate noch zu den größten, doch in schon ein, zwei Jahren könnte das anders sein. Gerade lässt ein portugiesischer Investor am Berliner Alexanderplatz ein gigantisches Shoppingcenter errichten.

„Service, Service, Service“, sagt der Centermanager und „Freundlichkeit bringt mehr Umsatz“. Worte, die man in dem dreistöckigen Gebäude mit 150 Geschäften in bare Münze umsetzen kann. Zum Beispiel im Schuhgeschäft Roland. Die freundliche Verkäuferin hat am Samstagvormittag Zeit, besonders für Kinder. Sie habe selber zwei Söhne, erzählt sie, während sie Arian den Fuß abmisst. „Die müssen zu Hause mithelfen.“ Als Schuhverkäuferin ist man wahrscheinlich selten vor der „Tagesschau“ zu Hause. Auf die Frage, was Arian denn machen müsse, zählt die Tochter auf: Tisch decken, Wäsche aufhängen, Staubsaugen, Waschbecken putzen. Zum Glück finden sich endlich die passenden Schuhe. Ein Reinigungsspray für fünf Euro wird auch noch gekauft, denn „damit kannst du deine Schuhe alleine putzen“, so die Verkäuferin. Arian lässt die neuen Kicker gleich an. Von nun an werden die auch noch geputzt. Jeden Tag.

Die Dekoration in den drei marktplatzähnlichen Atrien ist aufwändig und zieht die Kinder in Bann. Wie mit Kaugummi angeklebt drücken die Kleinen ihre Nasen an den Glasscheiben der Balustrade im ersten Stock platt. Ein Stoffhase fliegt mit dem Fallschirm hoch und runter, im Erdgeschoss fahren Kollegen Karussell oder essen Eis, wobei die Eiswaffel mechanisch auf und nieder wippt, nie aber den Mund des Hasen erreicht. Das macht Appetit. Gleich drei Eisdielen mit prachtvoller Auslage buhlen um die rund 50.000 Besucher des Einkaufszentrums, die sich samstags hier einfinden. Um die Mittagszeit wird auf der Fressmeile im ersten Stock gespachtelt. Möglichst billig. Die China-Pfanne mit Hühnchen kostet 3,50 Euro, nebenan gibt es Currywurst, Pizza, Gulasch und Pommes zu ähnlichen Preisen. Alles in Selbstbedienung und an bequemen Tischen mit schlichten Kunstledergarnituren.

„Die Kaufkraft in Marzahn liegt über dem Berliner Durchschnitt“, hatte Herr Treuber noch gesagt. Aber das ist den Besuchern nicht unbedingt anzusehen. Billigklamotten, Tätowierungen und die typische Jogginghosen-Uniform der umliegenden Hochhäuser dominieren. Kinder sind vergleichsweise wenig zu sehen, obwohl auch mit der Anzahl der Nachkommen Marzahn noch über dem Berliner Durchschnitt liegt.

„Der Bezirk hat ein Imageproblem“, ist Herr Treuber überzeugt. Schön ist es außerhalb des Einkaufszentrums allerdings nicht gerade. Überall diese riesigen Häuser, dazwischen blasse Straßen. In die verbliebenen Einkaufswürfel dazwischen sind vor allem russische Händler eingezogen. Immerhin leben inzwischen rund 30.000 Russen unter den 200.000 Einwohnern von Hellersdorf und Marzahn.

Etliche Verkäufer kommen aus dem Westen. Die Benetton-Shop-Verkäuferin etwa reist jeden Tag aus dem Berliner Bezirk Wilmersdorf an. Fast 90 Minuten ist sie unterwegs, aber umziehen? „Nein, auf keinen Fall“, sagt sie und lächelt unverbindlich. Bloß nichts Falsches sagen.

Arian würde sofort herziehen. „Hochhäuser verbrauchen nicht so viel Platz, das ist gut für die Natur“, meint sie. Und dann ist natürlich das Eastgate ein Grund. Man müsse so wohnen, dass eine Brücke das Hochhaus mit dem Einkaufszentrum verbinden würde. „Dann könnte ich auch alleine einkaufen gehen.“ Eine erstaunliche Vision, wo doch Mütter immer denken, dass sich Kinder nach Wiesen und Wäldern sehnen.

Nach zwei Stunden hat das Einkaufen ein Ende. Ein neuer Anorak von C & A, Strümpfe von H & M, eine Bluse von P & C und ein paar Schnäppchen-CDs von Saturn. Die China-Pfanne liegt schwer im Magen, Arian muss ständig aufstoßen wegen der Cola, die sie ausnahmsweise trinken durfte. Müde warten wir auf die S-Bahn. Auf der Märkischen Allee direkt nebenan fahren täglich 50.000 Autos. Herr Treuber hat sie eigens zählen lassen. Der S-Bahnhof rostet derweil vor sich hin. Auf dem Bahnsteig stehen viele Menschen mit wenigen Tragetaschen. Sie sehen blass aus und ein bisschen resigniert. Wer Geld hat im Osten, fährt Auto. Das ist jedenfalls eine Vermutung, die sich aufdrängt.

Eastgate, Marzahner Promenade 1a, 12679 Berlin Tel. (0 30) 91 14 59-0