Ein Putschversuch gegen Regierungschef Ali Saidan

LIBYEN Entführung deutet auf einen Machtkampf zwischen Konservativen und Liberalen hin

Umstritten ist, unter wessen Befehl Milizionäre Seidan aus seinem Hotel abführten

VON MIRCO KEILBERTH

TUNIS taz | Je mehr Details über die siebenstündige Entführung von Libyens Premierminister Ali Seidan am 10. Oktober an die Öffentlichkeit gelangen, desto deutlicher werden die Hinweise auf einen bevorstehenden Konflikt zwischen Liberalen, zu denen Seidan gehört, und konservativ-islamistischen Kräften in Libyen.

Umstritten ist, unter wessen Befehl Milizionäre mit über 100 Fahrzeugen in der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche das Corinthia-Hotel umstellten und Seidan aus seinem Hotelzimmer abführten. Im Corinthia-Hotel präsentierten die in Zivil gekleideten Entführer einen Haftbefehl des Obersten Gerichtshofs, dessen Echtheit jedoch später vom Gerichtspräsident heftig bestritten wurde.

Aus Seidans Sicht handelte es sich um eine lange vorbereitete Aktion von Milizionären der sogenannten Operationszentrale der libyschen Revolutionäre, ein dem Innenministerium unterstehendes Bündnis mehrerer Milizen aus Bürgerkriegszeiten. „Sie führten nur aus, was einige Abgeordnete des Nationalkongresses schon lange geplant hatten“, behauptete Seidan gegenüber dem TV-Sender Al-Arabija und nannte seine Entführer „Terroristen“. „Ihr Ziel war nicht nur der Premierminister, es war ein Umsturzversuch“, klagte er. „Wir werden gegen alle Verdächtigen mit aller Härte vorgehen.“

Doch Shaban Hadiya, Chef der Operationszentrale, bestreitet, mit dem nächtlichen Einsatz etwas zu tun zu haben. Hadiya erklärte über Facebook, er habe Seidan im persönlichen Gespräch gesagt, dass einige Leute seine Gruppe hintergangen hätten.

Seidan wurde am Mittag von Anwohnern des Stadtteils Suq Al Juma und einer weiteren Milizenallianz befreit – dem Obersten Sicherheitsrat (SSC), eine seit 2012 mit der Sicherung der Hauptstadt Tripolis beauftragte 12.000 Mann starke Parallelpolizei. SSC-Chef Hisham Bishr leitete persönlich die Befreiung des Premierministers.

Ihm kam das gelegen, denn der SSC sollte bereits Anfang des Jahres auf Wunsch Seidans aufgelöst werden, da immer wieder über willkürliche Verhaftungen, Privatgefängnisse und die islamistische Gesinnung seiner Mitglieder berichtet wurde.

Nun hat der SSC Seidan gezeigt, wer der Stärkere ist. Der Vorfall habe klargemacht, dass der SSC erst dann aufgelöst werden könne, wenn es wieder eine funktionierende Polizei gebe, so SSC-Chef Bishar. „So lange sorgen nur wir für Recht und Ordnung in Tripolis.“

Eine weitere in die Affäre verwickelte Organisation ist die Antiverbrechenseinheit CCA, in deren Gebäude Ali Seidan nach seiner Entführung verhört worden war. Ihr Presssprecher Abdelhakim Belhazi behauptete, dass der Präsident des Nationalkongresses, Nuri Abu Sahmain, von der Aktion gegen Seidan wusste und diese sogar gebilligt habe. Sahmain ist Mitglied der libyschen Muslimbrüderpartei „Aufbau und Gerechtigkeit“, die seit Langem Seidans Rücktritt fordert, obwohl sie an dessen Regierung beteiligt ist.

So scheint eine offene Konfrontation zwischen den liberalen Kräften um Seidan und den konservativen Gruppierungen um die Muslimbrüder unvermeidlich. Öffentlicher Grund für Seidans Kidnapping war die Verschleppung des Al-Qaida-Verdächtigen al-Libi durch US-Spezialkräfte am Wochenende zuvor gewesen. Danach hatten Islamisten Premier Seidan vorgeworfen, mit den USA gemeinsame Sache gemacht zu haben. Im ganzen Land demonstrieren in den letzten Tagen islamistische Gruppen gegen die Aktion der US-Spezialeinheiten und forderten die Auslieferung des libyschen Staatsbürgers. Dabei waren auf dem Märtyrerplatz in Tripolis erstmals Al-Qaida-Flaggen zu sehen. Vergangenen Samstag traf al-Libi in New York ein. Dort soll er vor Gericht gestellt werden.