US-Soldaten ziehen ab, Lebensumstände bleiben

HAITI Mehr als drei Monate nach dem Erdbeben ist die weitere Entwicklung des Landes völlig offen

Regenzeit und Hurrikansaison dürften die Lage der Menschen weiter verschlimmern

PORT-AU-PRINCE taz | Nach einer neuen Schätzung der Vereinten Nationen sind bei dem schweren Erdbeben in Haiti Mitte Januar bis zu 300.000 Menschen gestorben. Über 300.000 weitere Personen seien zum Teil schwer verletzt und rund 1,2 Millionen obdachlos geworden. Damit wurde die Zahl der tödlichen Erdbebenopfer erneut nach oben korrigiert.

Haiti stehe drei Monate nach der Naturkatastrophe vor seiner größten Herausforderung, betonte der zivile Chef der UN-Mission für die Stabilisierung in Haiti (Minustah), Edmond Mulet, in der vergangenen Woche in einem Rundfunkgespräch mit dem haitianischen Sender Radio Metropole.

Der guatemaltekische Diplomat bezeichnete die Situation des Landes nach wie vor als kritisch. Tausende seien nicht in wasserfesten Unterkünften untergebracht. Die beginnende Regenzeit, aber auch die in den kommenden Monaten drohenden Hurrikans könnten die Situation verschlimmern.

„Die kommenden 12 bis 18 Monate werden eine kritische Periode für die Schaffung eines günstiges Entwicklungsumfelds sein“, betont Mulet, der zum zweiten Mal an der Spitze von Minustah steht. Sein Vorgänger war bei dem Erdbeben getötet worden. Neben dem Wiederaufbau des Landes stehe die „politische Stabilisierung“ auf der Prioritätenliste der Vereinten Nationen. Die UN werde dabei helfen, dass die anstehenden Präsidentschaftswahlen trotz des Erdbebens durchgeführt würden und der Machtwechsel im Februar 2011 „friedlich und demokratisch“ stattfinden könne.

Die USA haben inzwischen angekündigt, dass aus Haiti in den nächsten Wochen weitere US-Truppen abgezogen würden. Kurz nach dem Erdbeben hatte das Südkommando der US-Streitkräfte (Southcom) rund 22.000 Soldaten in der Katastrophenregion stationiert. Diese sind jedoch in den letzten Wochen bereits reduziert worden. Ab Juni sollen 400 US-Soldaten in Haiti für die Sicherheit US-amerikanischer Institutionen zuständig sein. Außerdem sollen unter dem Codenamen „Neue Horizonte in Haiti“ im Rahmen einer „humanitären Mission“ 500 Mitglieder der Nationalgarde von Louisiana außerhalb von Port-au-Prince bei Infrastrukturmaßnahmen eingesetzt werden, teilte der stellvertretende Kommandeur von Southcom, Generalleutnant Ken Keen, mit. Die Nationalgardisten sollen Brunnen bauen, bei der Instandsetzung von Straßen helfen und Kranke unter anderem in der rund 160 Kilometer von Port-au-Prince entfernten Hafenstadt Gonaïves kostenlos medizinisch behandeln.

Der Einsatz ist nach Angaben von Southcom bis September begrenzt. HANS-ULRICH DILLMANN