Perlen auf dem Vormarsch

Über tickende Zeitbomben und vorbildliche Kompromisse rund um den Globus herum

Sie wachsen nicht mehr in Muscheln – sie schießen wie Pilze aus dem Boden

Nahezu unbemerkt von uns kritischen Konsumenten schießen vielerorts die Perlen wie Pilze aus dem Boden.

Freudenstadt, zum Beispiel, ist die „Perle des Schwarzwaldes“, Bad Sooden die „Perle im Werratal“, Templin sieht sich als „Perle in der Uckermark“, Flensburg als „Perle im Norden“, Lindenfels als „Perle des Odenwaldes“. Das Skigebiet Saas-Fee behauptet, die „Perle der Alpen“ zu sein, Kronberg verteidigt seit Jahren den Anspruch, „Perle im Taunus“ zu heißen. Münster ist, wer wüsste es nicht, die „Perle in Westfalen“, Sylt die „Perle der Nordsee“, Genthin die „Perle am Kanal“ und Riedenburg die „Perle des Altmühltals“. Gailingen hält als „Perle am Hochrhein“ die Stellung, Schirgiswalde strahlt als „Perle der Oberlausitz“, und Allendorf wird von Perlenkennern wie den gewiss nicht zimperlichen Kennern des Lumdatals als „Perle des Lumdatals“ gepriesen, so weit alles klar und eindeutig.

Ausnahme: Heiligendamm wird weltweit touristenwirksam die „weiße Perle an der Ostsee“ genannt, weil Graal-Müritz – vielleicht etwas voreilig – sich bereits die Rechte für „Perle an der Ostsee“ gesichert hat. Das perlenbezüglich unerfahrene Litauen landet da – wen wundert es – weit abgeschlagen als „Perle des Baltikums“. Nämlich wo? Weit hinten. Schwieriger gestalten sich die Verhältnisse im hitzigen Süden. Den Titel „Perle im Mittelmeer“ reklamieren Mallorca, Malta und Kreta für sich, „Perle des Mittelmeeres“ hingegen ist und bleibt unangefochten Sardinien, während Menorca sogleich „Perle der Balearen“ sein möchte, ja muss. València begnügt sich würdevoll mit seiner Rolle als „Perle am Mittelmeer“. Kroatien und Montenegro tragen beide den Titel „Perle der Adria“, hier steht eine Entscheidung noch aus, nicht zuletzt weil Dubrovnik als „Perle an der Adria“ vielleicht der lachende Dritte sein könnte? Mitunter. Hawaii kann wie immer nicht genug kriegen und möchte als „Perle im Pazifik“ sowie als „Perle in der Südsee“ auftreten. Und das, obwohl Bora Bora ebenfalls Anwartschaft für den Ehrentitel „Perle in der Südsee“ geltend gemacht hat. Muss das sein? Unter Umständen. Kuba reicht es nicht, als „Perle der Karibik“ bejubelt zu werden, nein, der Kosename „Perle der Antillen“ muss auch noch her. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, zumal auch Jamaika als „Perle der Karibik“ angesehen werden will.

Schließlich wird auch Katar sich mit Bahrein auf friedlichem Weg einigen müssen: Zwei Perlen im Persischen Golf – Halt! wir erfahren soeben: Katar ist „Perle im Persischen Golf“, Bahrain hinwiederum „Perle des Persischen Golfs“. So konnte eine tickende Zeitbombe in letzter Minute entschärft werden. Dass es auch anders geht, beweisen Izmir und Antalya: Izmir verzichtet vorbildlich zugunsten Antalyas auf die Belobigung „Perle an der türkischen Küste“ und reüssiert selber als „Perle der Ägäis“. Bravo! Luang Prabang (G. Polt) bleibt unangefochten „Perle von Laos“, Sri Lanka die „Perle im Indischen Ozean“, so weit, so gut.

Kompliziert wird es bei Kapstadt. Kapstadt gilt ja als „Perle des Kontinents“, während Südafrika lediglich als „Perle an der afrikanischen Südspitze“ gehandelt wird. Und was passiert dann mit Paarl (Südafr. f. Perle?) bei Kapstadt? Exakt! Unter dem Rubrum „Perle im Kap-Weinbaugebiet“ leuchtet seine Zukunft. Nicht vergessen dürfen wir in diesem Zusammenhang, dass Uganda schon seit Urzeiten die „Perle Afrikas“ (W. Churchill; Stern) ist, nunmehr aber auch als „Blutige Perle Afrikas“ (ZDF) zu fungieren hat. Und wo wir grad beim Bluten sind: „Von Perle zu Perle Jesus Christus entdecken“, schlägt uns das Erzbistum Bamberg vor. Das ist doch auch mal was. Bevor wir alles vor die Touristensäue werfen. MICHAEL RUDOLF