Fat Man Walking

Seit dem 10. April 2005 spaziert Steve Vaught (39) von der pazifischen an die atlantische Küste der USA – um abzunehmen. Etwa 500 Kilometer hat er noch vor sich, ein Medienstar ist er jetzt schon

von DOMINIK SCHOTTNER

Steve Vaught ist 39 Jahre alt und wiegt rund 200 Kilogramm, als er bemerkt, dass es so nicht weitergehen kann: „Ich bin nicht glücklich, weil ich fett bin. Und fett zu sein bedeutet, dass man jeden Tag unglücklich ist.“ Vaught will das nicht mehr: verächtliche Blicke ernten, nach ein paar Schritten verschnaufen müssen, keinen Sport mehr treiben können, vielleicht nie wieder, weil Übergewichtige anfälliger sind für todbringende Herzinfarkte als Menschen mit Normalgewicht.

Nach Schätzungen der American Obesity Association (AOA) sind rund 120 Millionen im Land übergewichtig, 60 Millionen fettsüchtig und 9 Millionen Menschen nennt die AOA „schwer fettsüchtig“. Fettsucht, warnt die AOA, sei die zweithäufigste Variante der „verhinderbaren Todesursachen“.

Steve Vaught kennt die Fakten. Deswegen läuft er. Seit einem Jahr quer durch das Land, 4.800 Kilometer, von der Westküste zur Ostküste, vom kalifornischen Oceanside nach New York City, geschlafen wird meistens im Zelt. Momentan ist Vaught im US-Bundesstaat Ohio, 550 Kilometer von New York entfernt. „Ich laufe, um Gewicht zu verlieren und um mein Leben zurückzubekommen. Ich muss lernen, verantwortungsvoll mit mir selbst umzugehen“, sagt Vaught.

Am 10. April 2005 ist Vaught losgelaufen. Am zweiten Tag stürzt er zum ersten Mal, am dritten berichtet er für einen Radiosender von seinem kleinen Spaziergang. Eine Blase habe er dabereits, schreibt Vaught in sein Online-Tagebuch (www.thefatmanwalking.com). Außerdem habe sich in seinem linken Ohr eine kleine Spinne eingenistet: „Draußen im Feld gibt es aber schlimmere Eindringlinge. Wer in der Infanterie war, weiß, wovon ich rede.“ Vaught war einmal Elitesoldat, ein Marine, schlank und durchtrainiert.

Die Fettsucht ist für ihn deswegen besonders belastend. Er kennt den Normalzustand seines Körpers – anders als viele junge US-Amerikaner, die schon immer ausschließlich in Fast-Food-Restaurants essen, und deren Geschmacksnerven vom Industriefraß längst abgestumpft sind. „Wir haben irgendwann beschlossen, keine natürlichen Produkte mehr zu essen, sondern nur noch solche, die gefärbt und mit Geschmacksstoffen angereichert werden, damit sie besser schmecken. Nach einer Weile schmeckt dann wieder alles gleich. Aber wir merken es nicht mehr!“

Vaughts Kampf gegen die eigene Fettsucht ist eine sehr spezielle Variante des amerikanischen Traumes der Selbstverwirklichung: Wo sonst die Schönheit als Ideal eines langen Kampfes steht, will Vaught primär Klarheit darüber, wie er so fett werden konnte. Einen griffigen Claim hat er für seine Philosophie auch schon gefunden: „Cure the mind and the ass will follow!“ („Heile den Geist und dein Hintern wird ihm folgen!“)

Vaughts Marsch von West nach Ost erinnert aber auch an den Deutschen Rüdiger Nehberg, der 1981 von Hamburg nach Oberstdorf lief, ohne Essen und Internet. Und natürlich haben amerikanische Medien schon versucht, in Steve Vaught eine reale Inkarnation des liebenswerten Filmhelden Forrest Gump zu entdecken. Die Sache hat nur einen Haken: Gump joggte. Vaught spaziert. Und das nicht einmal jeden Tag.

Vor kurzem hat er sich erst mal mehrere Wochen Auszeit genommen. Den Oberkörper in Form bringen. Seinen Humor hat Vaught während seiner Reise indes nicht verloren: „Bei dem Tempo sollte ich in New York sein, bevor ich 52 werde.“