Neuer Aktionstag in ganz Frankreich

Einen Tag vor den ersten Verhandlungen über den Erstanstellungsvertrag wird im ganzen Land noch einmal demonstriert. Die Regierung sucht Auswege aus der Krise, die Protestler beharren auf der Streichung des umstrittenen Paragrafen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Weg mit dem CPE!“ Die Forderung ist unverändert und hallt noch lauter als zuvor durch Frankreich. Der Auftritt von Staatspräsident Jacques Chirac, das Ränkespiel zwischen Regierungschef und Innenminister und die widersprüchlichen Erklärungen rechter PolitikerInnen – all das hat niemanden beeindruckt: Am fünften nationalen Aktionstag gegen den „Erstarbeitsvertrag“, der den Kündigungsschutz für junge Leute aushöhlt, ist Frankreich gestern wieder punktuell bestreikt worden.

Wieder sind mehrere Millionen Menschen auf der Straße. In Provinzstädten wie Marseille, Nantes, Rennes und Bordeaux sind sie noch zahlreicher als eine Woche zuvor. „Dies ist nicht das Ende der Bewegung“, sagt in Paris Bernard Thibault von der CGT. Gestern ging er nicht nur mit den ChefInnen der Gewerkschaften, SchülerInnen- und StudentInnenorganisationen an der Spitze der Pariser Demonstration. Sondern erstmals ist auch der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes dabei. „Wir sind gegen den Abbau der Rechte der Beschäftigten in der EU“, erklärt John Monks.

Die Anti-CPE-Bewegung, die vor zwei Monaten an den Universitäten von Rennes und Poitiers begonnen hat, ist eine grenzüberschreitende Sache geworden. In Paris demonstrierte die Chefin der schwedischen JungsozialistInnen mit. Und Björn Böhning, Vorsitzender der deutschen Jusos, versicherte den „lieben Genossen“ schriftlich und auf Englisch: „Euer Protest ist wichtig für uns und für die ganze Jugend in Europa.“

In 200 Demonstrationen im Land witzeln CPE-GegnerInnen über die Kakofonie aus der rechten Mehrheit, seit Chirac am Wochenende ein Gesetz in Kraft gesetzt hat, das er im selben Atemzug in Teilen für ungültig erklärte. Sie sehen den Vorteil nicht, wenn Unternehmer einen „Grund nennen“ müssen, um junge Beschäftigte fristlos zu feuern: „Wir wollen schriftliche und einklagbare Arbeitsrechte. Kein Geplänkel.“ Und sie sprechen von einer „Gefahr für die Demokratie“, weil immer unklarer wird, wer eigentlich die Macht im Land hat: Der mit 82 Prozent gewählte Staatspräsident. Der Premierminister, dem das Dossier CPE aus der Hand genommen wurde. Der Innenminister, Nicolas Sarkozy, der bereits in der Vergangenheitsform von dem Gesetz spricht, das er selber gewollt hat. Oder die große rechte Partei UMP, deren Fraktionsvorsitzender den Gewerkschaften gestern eine Einladung für Gespräche „ohne Vorurteile“ über den CPE geschickt hat.

Die ersten Verhandlungen mit den Gewerkschaften sollen heute beginnen. Doch die Vorzeichen für die Rechten sind ungünstig. Noch gestern Nachmittag sagt UMP-Fraktionschef Bernard Accoyer in einem Interview, er suche „Auswege aus der Krise“. Er vermeidet sorgfältig die Aussage, auf die alle warten: „Streichung des CPE“.

„Wir verhandeln nur, um den CPE zu streichen“, warnt Bruno Juillard. Das Crescendo der sozialen Bewegung stärkt dem Chef der größten studentischen Organisation, Unef, den Rücken. Genau wie die öffentliche Meinung. Die ProtagonistInnen der Bewegung haben in den vergangenen zwei Monaten viel gelernt. Die als „individualistisch“ verschrienen Jugendlichen haben die Regierung das Fürchten gelehrt. Ende der Woche beginnen die Osterferien. Auch darauf setzt die Regierung. „Jacques, Nicolas, Dominique“, skandierten gestern Jugendliche in Paris, „wenn ihr uns immer noch nicht gehört habt, kommen wir wieder und werden noch lauter.“ Sie tragen Müllsäcke als Verkleidung. Sie tanzen auf dem Asphalt – gegen eine Zukunft als Wegwerfjugendliche.