„Der Atomausstieg bleibt“

MODERATION HANNES KOCH
UND NICK REIMER

taz: Beschließen die Teilnehmer des deutschen Energiegipfels heute Abend bei Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt, das Weltklima zu retten und aufzuhören, Kohle, Öl und Uran zu verbrennen?

Michael Müller: Den energetischen Zustand der Welt muss man mit Erich Kästner beschreiben: Es geht nicht weiter, wenn es so weitergeht. Die Industriestaaten verbrauchen drei Viertel der verfügbaren Energie. Würden Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien in den nächsten 40 Jahren das Wohlstandsniveau des heutigen Ungarn erreichen, müsste sich das Weltsozialprodukt verdreifachen. Mit einer Energieproduktion in der heutigen Form ist das nicht möglich – weil die fossilen und nuklearen Rohstoffe knapp werden und die Erdatmosphäre zu sehr aufgeheizt würde.

Also weg mit den Dinosaurier-Technologien. Heizen, kochen und fahren wir demnach schon bald nur noch mit Windstrom und Biodiesel?

Peter Paziorek: Nein, bis 2015 wird es zu keiner beträchtlichen Verschiebung zwischen den heutigen Energieträgern kommen. Öl und Kohle werden auch weiterhin dominieren. Allerdings nehmen die erneuerbaren Energien im Jahr 2015 einen deutlich größeren Raum ein.

Wann erwarten Sie, Herr Paziorek, denn die „beträchtlichen Verschiebungen“?

Paziorek: Ab 2020. Dann soll es nach unserem Koalitionsvertrag 20 Prozent regenerative Energie allein im Strombereich geben. Auch im Verkehr werden wir eine bedeutende Erhöhung der Biotreibstoffe haben. Selbst im Wärmebereich spielen die erneuerbaren Energien dann eine deutlich größere Rolle.

Der SPD geht das zu langsam, oder?

Müller: Bis 2030 müssen nach Möglichkeit 30 Prozent unserer Kraftstoffe biologisch erzeugt werden. Wenn es nach uns geht, soll dann auch ein Drittel unseres Wärmebedarfs aus regenerativen Quellen stammen.

Paziorek: Diese hübschen Vorstellungen von Herrn Müller sind technologisch sicherlich erreichbar. Aber entscheidend ist doch, was das unsere Volkswirtschaft kostet.

Sie meinen, die sozialdemokratische Visionen sind nicht umsetzbar?

Paziorek: Wir dürfen die Realitäten nicht aus dem Auge verlieren. Technisch können wir 2030 sicherlich 30 Prozent aller Kraftstoffe mit pflanzlichen Rohstoffen erzeugen. Die Frage ist aber, woher diese kommen sollen. Etwa aus Russland? Was bedeutet das für die deutsche Politik, wollen wir uns noch abhängiger machen, als wir es durch die Lieferung von Erdgas heute schon sind? Da liegen jede Menge Steine auf dem Weg.

Müller: Die Biokraftstoff-Strategie muss natürlich eine europäische Dimensionen haben. Für die neuen Beitrittsländer bietet das riesige Chancen. Polen, Ungarn und die Slowakei sind agrarisch strukturiert – da erschließen sich ganz neue Einkommensmöglichkeiten. Wir dürfen nicht kleinmütig sein.

Paziorek: Ich halte es überhaupt nicht für klug, andere Länder noch mehr als bisher als Energieproduzenten einzusetzen. Das würde übrigens auch zu Lasten unserer Bauern gehen, die eine Erwerbsquelle verlieren.

Müller: Das sehe ich nicht so. Hier handelt es sich um einen aufstrebenden Markt für ganz Europa, an dem alle teilhaben können.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) jedenfalls will Deutschland von dieser Entwicklung abkoppeln – indem er das Steuerprivileg für Biokraftstoffe streicht. Was bedeutet das?

Paziorek: Ganz einfach: Der einheimische Markt wird zusammenbrechen. Wir werden den technologischen Vorsprung verlieren. Das heißt, diese Koalition muss jetzt politisch regeln, ob und welchen Stellenwert sie Biokraftstoffen ab Januar einräumt.

Müller: Wir werden kurzfristig ein Konzept analog zur erneuerbaren Stromproduktion vorlegen. Eine Quote zur Beimischung ist sinnvoll, um die eingesetzten Mengen schrittweise zu erhöhen. Aber die Mineralölkonzerne werden sich die Beimischmengen auf dem Weltmarkt kaufen – dort, wo sie am billigsten sind, zum Beispiel Palmöl. Deshalb brauchen wir für den reinen Biodiesel weiterhin einen Steuervorteil: Es muss sich für den Autofahrer einfach rechnen, dass er auf Biodiesel umgestellt hat. Wenn dieser Markt weiter wächst, haben auch die Bauern in unserem Land viel davon.

Der Finanzminister aber ist gegen die Steuerbefreiung , weil sie ihn Geld kostet, auf das er nicht verzichten will. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

Müller: Wenn viele Ministerien zuarbeiten, werden wir auch den Finanzminister überzeugen.

Paziorek: Wir jedenfalls unterstützen das.

Der Streit um das Abschalten der alten Atomkraftwerke war ein Auslöser dafür, den Energiegipfel anzuberaumen. Wie steht es nun – bleibt es beim Ausstieg, oder können die Konzerne die Geschichte zurückdrehen?

Müller: Wir reden hier doch über die Zukunft, oder? Die Atomkraft ist eine Technologie zur reinen Stromerzeugung – die entstehende Wärme wird ungenutzt in die Umwelt verpulvert. Das ist ein Verfahren von gestern. Großkraftwerke dieser Art sind nicht zukunftsfähig. Ganz zu schweigen von den Risiken atomarer Verseuchung durch Unfälle, Lagerung oder Terrorangriffe.

Paziorek: Über die Kernkraftwerke brauchen wir eigentlich gar nicht zu reden. Der Umgang mit ihnen ist im Koalitionsvertrag eindeutig geregelt. Ich will den Atomausstieg nicht antasten.

Müller: Die ganze Debatte ist nur eine fiktive. Bei Licht betrachtet geht es in dieser Legislaturperiode um zwei Atomkraftwerke: Brunsbüttel bei Hamburg und und Biblis A in Hessen. Beides sind überaus problematische Anlagen, die abgeschaltet werden.

Die Betreiber Vattenfall und RWE wollen Anträge stellen, um die Kraftwerke länger als 2009 am Netz zu halten. Macht Schwarz-Rot das mit?

Müller: Ich bin nicht einmal sicher, ob eine Laufzeitverlängerung der ältesten deutschen Atomkraftwerke beantragt wird. Die Betreiber wissen, dass die Anlagen die Sicherheitsstandards nicht einhalten. Eine Nachrüstung käme sie sehr teuer.

Paziorek: Jetzt blickt Herr Müller durch seine ideologische Brille. Mir hat der hessische Umweltminister erklärt, die sicherheitstechnischen Nachrüstungen von Biblis A seien durchaus erfolgreich gewesen. Trotzdem bleibt Fakt: Das sind Details, die die grundsätzliche Ausrichtung unserer Energiewirtschaft nicht mehr beeinflussen. Der Anteil der Atomkraft wird nicht zu-, sondern abnehmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Atomkraft beim Gipfel zum Tabu erklärt. Deshalb stellen die Energieunternehmen jetzt ihre geplanten Investitionen in neue Kohlekraftwerke in den Vordergrund. Kann man so den Klimakollaps bekämpfen?

Paziorek: Ja, das kann man. Wir wollen mit den Unternehmen über den Wirkungsgrad ihrer Kraftwerke reden, also darüber, wie viel Energie am Ende tatsächlich herauskommt. Wenn das mehr wird, sinkt relativ auch der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2). Sie müssen daran denken, dass es Kohle auf dieser Welt auch noch in 200 Jahren gibt – im Gegensatz zu Öl oder Gas. Kohle bleibt deshalb halbwegs billig. Und Deutschland hat in der Lausitz, im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland eigene nationale Vorkommen, die uns international unabhängig machen.

Müller: Die Zukunftsformel muss lauten: Wir müssen Strom in Kombination mit Wärme herstellen, alles andere wäre verhängnisvolle Verschwendung.

Paziorek: Diese Betrachtung ist mir zu eingeschränkt. Kohlekraftwerke können gut sein, wenn beispielsweise das Kohlendioxid nicht in die Umwelt abgegeben, sondern gesammelt wird.

Müller: In den nächsten 15 Jahren wird diese Technik höchstwahrscheinlich nicht verfügbar sein. Bis dahin stehen aber Investitionen von Dutzenden Milliarden Euro in neue Kraftwerke an. Deshalb brauchen wir einen Konsens über Einsparpotenziale und Effizienz mit der Energiewirtschaft. Gelingt uns das nicht, wird Deutschland in der technologischen Entwicklung 40 bis 50 Jahre lang auf der Stelle treten. So lange nämlich arbeiten die Kraftwerke, die demnächst gebaut werden sollen.

Paziorek: Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu: Was die rot-grüne Regierung in Sachen Effizienz zu Wege gebracht hat, ist erbärmlich. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung, also der Nutzung von Abwärme bei der Stromproduktion, ist fast nichts passiert.

Was sagt die neue Regierung den Unternehmen nun – dürfen neue Kohlekraftwerke gebaut werden oder nicht?

Müller: Kohlekraftwerke dürfen in Deutschland nur errichtet werden, wenn sie in eine Effizienz- und Einsparstrategie eingebunden werden. Im Übrigen gab es in den letzten sieben Jahren zahlreiche Initiativen für mehr Einsparen und Effizienz. In der Regel wurden Sie allerdings von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Paziorek: Alternativen zu Kohle gibt es derzeit nicht, zumindest nicht in der Grundlast – bei den Kraftwerken also, die ständig laufen, um die Basisversorgung sicherzustellen. Ein schöner Erfolg des Energiegipfels wäre deshalb eine Vereinbarung mit der Industrie, dass neue Kohlekraftwerke effizienter arbeiten müssen als heute. Ich schlage einen Wirkungsgrad von 48 Prozent als Ziel vor.

Ist das nicht eher Kleinkram?

Paziorek: Keineswegs. Der Wirkungsgrad von aktuellen Kraftwerken liegt bei 38 Prozent. Das ist politisch nicht mehr verträglich.

Abgesehen von Differenzen innerhalb der Koalition – wo liegen die Widerstände, wenn man die Richtung der Energiepolitik ändern will?

Paziorek: Widerstände kommen aus der Mineralölwirtschaft. Die versucht, für ihre Position zu werben, um den Anteil von Erdöl hoch und den der Biokraftstoffe niedrig zu halten.

Müller: Von den 100 weltgrößten Konzernen arbeiten rund 50 mit Energie oder Rohstoffen. Daran sehen Sie, Energiepolitik ist die Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts. Es geht um Macht und Einfluss und Prägung der Gesellschaft. Und deshalb hat es schon immer sehr enge Drähte zwischen der Politik und der Energiewirtschaft gegeben. Deshalb stellt der Energiegipfel ja auch eine Chance dar: Wir machen ein Thema öffentlich, das alle angeht. Ich bin optimistisch, dass der Gipfel ein guter Start für eine wirkliche Debatte über eine nachhaltige Energieversorgung wird.