DIE FÜHRUNG FRANKREICHS VERLIERT IMMER MEHR UNTERSTÜTZUNG
: Bluffen reicht nicht mehr

Nach wochenlangem Schweigen hat der oberste Franzose gesprochen. Allein: Sein Volk fühlt sich nicht mehr von ihm vertreten. Es fühlt sich verarscht. Jacques Chiracs Ansprache haben die meisten Franzosen als taktisches Manöver verstanden. Als Versuch, die Bewegung gegen die Aushöhlung des Arbeitsrechts zu stoppen. Ohne die eigene Politik zu verändern. Und ohne die eigenen Männer in der Regierung zu opfern.

Chirac sorgt damit für ein weiteres Missverständnis zwischen Volk und Staatsspitze. Es ist das dritte und – weil es die Jugend betrifft – vielleicht das schwerwiegendste. Vorausgegangen waren die Präsidentschaftswahlen vom 21. April 2002, bei denen die Kandidaten der großen Parteien – Chirac für die Rechten und Lionel Jospin für die Sozialisten – nur 35 Prozent der Stimmen bekamen; und der 29. Mai 2005, an dem die Mehrheit der Franzosen gegen die EU-Verfassung stimmte. In allen drei Fällen hat sich das Volk gegen die Politik seiner Repräsentanten positioniert – und diese haben das ignoriert. Nur: Offenbar drücken die Franzosen bei Abstimmungen, Streiks und Demonstrationen keine vorübergehenden Launen aus, sondern wollen ihr sozialpolitisches Modell ernsthaft verteidigen. Und deshalb ist es für alle Mitglieder im rechten Triumvirat schwierig, politischen Nutzen aus der derzeitigen Krise zu ziehen.

Das gilt sowohl für Regierungschef Dominique de Villepin als auch für Innenminister Nicolas Sarkozy. Die Franzosen wissen, dass der „Erstarbeitsvertrag“ ideologisch ein gemeinsames Kind der beiden und Chiracs ist. Auch die große Oppositionspartei kann sich nicht beruhigt zurücklehnen. Die Franzosen haben gesehen, dass die PS nicht etwa an der Spitze der Bewegung stand, sondern ihr hinterher gerannt ist. Und die Rechtsextremen? Sie werden wohl wieder einmal von der Gewalt am Rande der Proteste profitieren.

Dreizehn Monate vor Frankreichs wichtigsten Urnengang stehen also lediglich zwei Dinge fest: Es bleibt spannend. Und die Amtszeit von Präsident Chirac geht zu Ende, wie sie begonnen hat: mit einem Bluff. DOROTHEA HAHN