Stahlkocher fürchten Spekulanten

ROHSTOFFE Die Eisenerz-Erzeuger diktieren dem Markt neue Regeln und höhere Preise. Das verunsichert die Stahlverarbeiter. Die IG Metall ruft zu einem Aktionstag gegen Kartelle

„Die Chance ist, schneller zu sein als das Problem“

THYSSEN-KRUPP-BETRIEBSRAT SEGERATH

VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

Industrieverbände und Unternehmen der Stahlbranche warnen davor, dass Eisenerz künftig an den Börsen gehandelt wird. „Das würde Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährden“, sagt Wilhelm Segerath, Betriebsratsvorsitzender von ThyssenKrupp. Die Preise für den Stahl-Rohstoff würden nicht nur steigen, sondern für die Unternehmen auch unkalkulierbar. Mit ihrer Warnung reagiert die Branche auf neue Regeln in der Preisbildung im Handel mit Eisenerz. Ein vor Ostern erzielter Abschluss zwischen dem brasilianischen Rohstoffkonzern Vale und dem japanischen Stahlerzeuger Nippon Steel gilt nur noch für drei Monate anstatt wie bislang ein ganzes Jahr. Der Preis für eine Tonne Erz hat sich dabei seit 2009 fast verdoppelt.

Anders als andere Metalle wurde Eisenerz bislang nur in geringen Mengen und in besonderen Qualitäten am Spotmarkt der Börse gehandelt. Preis und Liefermengen wurden direkt zwischen Erzeugern und Verarbeitern ausgehandelt. Die drei großen Eisenerzproduzenten, die australisch-britischen Konzerne BHB-Billiton und Rio Tinto sowie Vale aus Brasilien, die sich 70 Prozent des Marktes aufteilen, mussten in den vergangenen Jahren mit explodierenden Rohstoffpreisen beobachten, dass die an den Börsen gehandelten Eisenerze viel höhere Gewinne erzielten. Daher versuchten sie schon im letzten Jahr, aus dem System jährlicher Vertragsverhandlungen auszusteigen. Nun haben sie sich durchgesetzt.

Bislang ist der Abschluss zwischen Vale und Nippon Steel sowie Posco aus Südkorea zwar nur vorläufig. Aber die Marktmacht der Produzenten ist so groß, dass sie die Regeln jederzeit vorgeben können: Wenn sich die Stahlerzeuger nicht beugen, bekommen sie eben kein Erz. „Insbesondere die verarbeitende Industrie befindet sich in einer schwierigen Sandwichposition“, befürchtet Carsten Rolle, Leiter der Abteilung Energie und Rohstoffe beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Bei ihr stünden nur wenigen Produzenten nur wenige Kunden gegenüber. Deshalb hat sie es schwer, höhere Rohstoffeinkaufspreise vollständig weiterzureichen.

„Zudem sind die Märkte durch Exportzölle und andere Handelsbarrieren verzerrt“, sagt Rolle. Daher müsse die Politik eingreifen. „Das Problem muss im internationalen Rahmen von WTO, EU und auch innerhalb der G 20 diskutiert werden.“ Betriebsrat Segerath gibt sich optimistisch: „Die Chance ist, schneller zu sein als das Problem“, sagt er. Er will vor allem verhindern, dass Eisenerz im großen Umfang an die Börse gerät. Ein Handel dort ist für Käufer und Verkäufer von Rohstoffen sinnvoll, weil sie über Derivatgeschäfte große Preisschwankungen abfangen können. „Das öffnet Spekulanten Tür und Tor“, sagt Segerath.

„Handel an der Börse würde hunderttausende Arbeitsplätze gefährden“

Ende April wolle der Europäische Metallarbeiterverband daher einen EU-weiten Aktionstag gegen Rohstoffspekulation und -kartelle organisieren. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Düsseldorf unterliegen Metalle wie Nickel, die jetzt schon an den Börsen gehandelt werden, deutlich größeren Preisschwankungen als bislang das Eisenerz.

„Das war bislang eben etwas Besonderes“, sagt Klaus Matthies, der im Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut internationale Rohstoffmärkte analysiert. Wenigen Produzenten hätten wenige Käufer gegenübergestanden. Daraus hätten sich sehr langfristige Lieferbeziehungen mit stabilen Preisen entwickelt. In den 1970er- und 80er-Jahren hätten sich die Preise kaum bewegt, in den 90ern habe man schon vom Ende der Rohstoffe geträumt, sagt er.

Das war auch die Zeit, in der sich die europäischen Stahlverarbeiter wie ThyssenKrupp aus der Eisenerzerzeugung zurückzogen. „Das würde man heute natürlich anders machen“, glaubt Betriebsrat Segerath. Inzwischen ist Eisenerz dreieinhalbmal so teuer wie noch 2000 – den Nachfrage- und Preiseinbruch der Wirtschaftskrise der vergangenen beiden Jahre mit eingerechnet. Die Nachfrage vor allem in China treibe die Preise, sagt Matthies. Das Land verbraucht derzeit rund 60 Prozent der Eisenerzproduktion. Zwar sei das Metall in ausreichender Menge vorhanden, aber die wenigen Unternehmen, die es abbauten, seien an einer Ausweitung der Fördermengen nicht interessiert. „Ob man das politisch regeln kann“, sagt der Rohstoffexperte, „erscheint mir doch zweifelhaft.“