Frankreichs Proteste vor dem Wendepunkt

Mit einem Generalstreik wollen die Gewerkschaften heute den Druck auf Premierminister de Villepin weiter erhöhen

PARIS taz ■ Der Streik ist da. National und branchenübergreifend. Und mit ihm eine politische Krise, wie Frankreich sie lange nicht mehr erlebt hat. Zwei Monate, nachdem er ohne jede Konsultation den „Contrat première embauche“ (CPE), den „ersten Arbeitsvertrag“, der die Probezeit auf zwei Jahre verlängert, während derer Beschäftigte unter 26 Jahren täglich und ohne Angabe von Gründen gekündigt werden können, aus der Tasche gezogen hat, steht Regierungschef Dominique de Villepin heute einer geschlossenen Front gegenüber. Alle fünf großen Gewerkschaften rufen zu Arbeitsniederlegungen gegen den CPE auf. 135 Demonstrationen sind angemeldet. Wegen der mehreren hundert Schläger, die am vergangenen Donnerstag in Paris DemonstrantInnen beraubt und Geschäfte ausgeplündert hatten, während die Polizei zuschaute, herrscht bei den Ordnerdiensten Hochspannung.

„Dieser Dienstag kann der Wendepunkt sein“, erklärt Bernard Thibault, der Chef der CGT. Wie die anderen Gewerkschaften verlangt er die ersatzlose Streichung des CPE. SchülerInnen im nordfranzösischen Arras appellierten an ihre Eltern, sie bei den heutigen Demonstrationen zu begleiten. „Mit dem CPE werde ich zwei Jahre lang kein Recht vor dem Arbeitsgericht haben, keine Vertretung im Betriebsrat und keinen angemessenen Anspruch auf Arbeitslosengeld“, schrieben sie, „dieses Gesetz schafft neue Ungleichheiten zwischen den Beschäftigten und führt die Arbeit für Kinder ab 14 Jahren und sogar die Nachtarbeit ab 15 Jahren wieder ein“. Unterstützung bekommen sie von Stars des Showbusiness. Der Sänger Manu Chao erklärte: „Europa muss bei den Sozialrechten ein Vorbild für Lateinamerika bleiben – nicht umgekehrt.“

Am Wochenende hatte Regierungschef de Villepin versucht, der Bewegung die Spitze zu nehmen. Er lud StudentInnen zu sich ein. Doch nur Rechte kamen. Ihnen gegenüber lehnte er die Streichung des Gesetzes erneut ab und machte kleinere Zugeständnisse. Darunter staatlich finanzierte Weiterbildungen für Entlassene CPE-Beschäftigte und eine Auswertung der ersten Erfahrungen mit dem CPE in einigen Monaten.

Die Coordination Nationale Étudiante hat bereits über den Streik hinaus geplant. Am Wochenende verlangten die in Aix-en-Provence versammelten Delegierten auch den Rücktritt der Regierung, „die auf eine Strategie der Konfrontation und auf eine polizeiliche Konfrontation setzt“. Sollte der Streik folgenlos bleiben, wollen die StudentInnen am Donnerstag Straßen und Eisenbahnen blockieren. Zum 4. April rufen sie die Beschäftigten zum Generalstreik auf. Bruno Juillard, Chef der sozialdemokratischen Unef, der größten studentischen Gruppe, dämpfte die Radikalität: „Wir wollen weder Siger noch Besiegte.“

DOROTHEA HAHN