„Wie China und der Iran“

NETZAKTIVISTEN Deutsche Internetaktivisten kritisieren das Vorhaben der EU-Kommission, Kinderpornos mit Netzsperren zu bekämpfen, als nutzlos, unkundig und undemokratisch. Sie wollen mit einer europaweiten Kampagne dagegen vorgehen. Das Vorbild: Die „Zensursula“-Kampagne in Deutschland

BERLIN taz | Für ihren Vorschlag, europaweit Netzsperren einzuführen, erhält EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström Unterstützung von den deutschen Konservativen. So lobte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU, Hans-Peter Uhl, ihren Vorschlag als „wegweisend“. Uhl verwies darauf, dass im Koalitionsvertrag zwar „auf Wunsch der FDP“ die Netzsperren für ein Jahr ausgesetzt seien, man aber am Grundsatz „sowohl löschen als auch sperren“ festhalten solle.

Das verspricht Streit, denn die FDP will die Sperren eigentlich nicht. Sie hat sich im Wahlkampf dagegen ausgesprochen. Am 18. Juni 2009 hatte die große Koalition ein Gesetz beschlossen, das das Sperren von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten ermöglicht.

Im Bundestagswahlkampf geriet die Netzpolitik plötzlich in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Piratenpartei konnte ihre Mitgliederzahl verzehnfachen und einen Achtungserfolg von zwei Prozent erringen. Die etablierten Parteien schienen zu verstehen, dass die Piratenpartei ihnen gefährlich werden könnte, wenn sie das Thema Netzpolitik weiterhin missachteten.

Obwohl inzwischen Bundespräsident Horst Köhler das Netzsperrengesetz unterschrieben hat, wird es derzeit nicht angewandt. Die Bundesregierung plant, es durch ein anderes Gesetz zu ersetzen, bei dem das Löschen „im Vordergrund“ stehe, berichtet der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Ahrendt. Es gebe „eine Verabredung zwischen dem Innenminister und der Justizministerin“. Ein Zeitplan sei ihm aber aktuell noch nicht bekannt.

„Wenn das zu lange dauert, werden wir Verfassungsbeschwerde einreichen“, ärgert sich Alvar Freude vom Arbeitskreis Zensur. Die Politik agiere „immer noch im Blindflug“, meint auch Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC); nach wie vor regiere „der technische Missverstand“. Sperren bekämpften den Missbrauch von Kindern nicht, zudem seien sie technisch nicht wirksam, argumentiert sie. „Die stellen da alberne Stoppschilder hin und verdonnern die Provider zu Hilfssheriff-Aufgaben.“ Mithilfe der Sperrlisten sei es zudem möglich, im Internet gezielt nach kinderpornografischen Inhalten zu suchen. Derartige Gesetze, davon ist Kurz überzeugt, seien in Demokratien keinesfalls üblich. „Alle jammern über den Iran und über China, dabei macht die Bundesregierung genau dasselbe.“

Deswegen hat die Netzaktivistin Franziska Heine im Frühjahr 2009 eine Online-Petition gegen Netzsperren eingereicht, kürzlich war die Anhörung im Petitionsausschuss. Für sie hat sich in dem einen Jahr, seit sie die Petition einreichte, durchaus eine Menge zum Positiven gewandelt. „So viele Ausschüsse, runde Tische, bei denen die Zivilgesellschaft endlich dabei ist“, freut sich Heine. Jetzt könne man endlich Argumente austauschen und müsse sich nicht mehr als Befürworterin von Kindesmissbrauch beschimpfen lassen. Diese Diskurse müssten jedoch in politische Entscheidungsprozesse eingebettet werden, und daran mangele es noch.

Auch die Piratenpartei ist gegen Netzsperren. Man wolle auf jeden Fall weiter dranbleiben und „verhindern, dass Bürgerrechte über die EU-Ebene ausgehöhlt werden“, sagt der Parteivorsitzende Jens Seipenbusch.

Markus Beckedahl vom Blog netzpolitik.org sieht das ähnlich. „Man hat schon an der Vorratsdatenspeicherung gesehen: Die europäische Ebene kann Fakten schaffen.“ Die deutsche „Zensursula“-Kampagne gegen Netzsperren könne als „Schablone für die europäische Ebene“ dienen, meint Beckedahl. Derzeit vernetzten sich die deutschen Aktivisten mit Gleichgesinnten aus anderen EU-Ländern. Vorbereitungen für „Online- und Offline-Aktionen“ seien im Gange, bald werde man „richtig durchstarten“. Der Name für die Kampagne: „Censilia“, ein Kunstwort, zusammengesetzt aus „Cecilia“ und „Censorship“. JULIA SEELIGER