Maulkorb für die Meute

Der Skandal um falsche Verdächtigungen der Münchener Boulevardzeitung „tz“ täuscht darüber hinweg, dass Sportreporter in der Bundesliga schon immer an der kurzen Leine gehalten wurden

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Es war am 13. Dezember des Jahres 2005. Uli Hoeneß, Manager des ruhmreichen FC Bayern München, trat vor die Presse und verkündete die Verpflichtung eines jungen Mannes namens Ju- lio dos Santos. Vier Tage zuvor hatte er die Journalisten, die darüber berichtet hatten, dass eine Anstellung des Mittelfeldspielers aus Paraguay unmittelbar bevorstehe, noch abgekanzelt. „Das ist ein Ammenmärchen“, raunzte er.

Kurz darauf wurde das Ammenmärchen wahr. Die Journalisten schüttelten noch einmal kurz den Kopf, berichteten brav, dass tatsächlich stimmt, was sie schon länger vermutet hatten, und ordneten den Anschiss des Bayernmanagers in die Schublade „Typisch Hoeneß!“ ein.

Sportreporter von Tageszeitungen sind es gewöhnt, von den Verantwortlichen, Trainern und Spielern der Bundesliga als Meute wahrgenommen zu werden, die man besser meiden sollte, will man ein würdiges Leben führen.

Als es zu Beginn der laufenden Bundesligasaison darum ging, den schreibenden Medienvertretern den Kontakt zu Spielern und Trainern im Anschluss an ein Spiel zu ermöglichen, wurde der Pressesprecher von Hertha BSC Berlin ganz deutlich: „Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir die gar nicht.“ Die Pressevertreter fühlten sich seinerzeit benachteiligt, vor allem gegenüber dem Fernsehen. Sie forderten Fairness von den Vereinen ein. Die richteten Zonen ein, in denen die Meute nach dem Spiel (und nachdem die Fernsehsender, die viel Geld für das Recht auf Berichterstattung gezahlt haben, Trainer und Spieler befragt haben) ein paar Minuten ihre Fragen stellen darf. Eine Art Gnadenakt seitens der Vereine.

Natürlich wissen die Vereine, dass sie auch auf die Arbeit der Meute angewiesen sind. Gerade in den Boulevardzeitungen der großen Städte profitieren die Vereine von der Berichterstattung in dicken Lettern. Einzelne Journalisten dürfen ganz nah an die Mannschaft heranrücken. Es werden Termine in den Privatwohnungen der Superstars arrangiert, die Spieler dürfen mit Frau und Kindern, beim Beten oder beim Gassiführen ihres Hundes abgelichtet werden. Solange nicht mehr geschrieben wird, als es der Verein zulässt oder per Pressemitteilung selbst verkündet, ist alles in Ordnung. Wehe aber, es wird über schlechte Stimmung in der Mannschaft berichtet oder über eine geplante Neuverpflichtung. Schnell werden in der Wahrnehmung der Verantwortlichen in den Vereinen Journalisten zur Journaille.

Für Uli Hoeneß ist sicher keine Welt zusammengebrochen, als er die Schlagzeile in der Münchner Boulevardzeitung tz gelesen hat, aus der hervorging, dass die Fußballspieler Bastian Schweinsteiger, Quido Lanzaat und Paul Agostino in Zuge der Ermittlungen zum Thema Wettbetrug von der Polizei befragt wurden. Er muss sich vielmehr bestätigt gefühlt haben in seiner Meinung über den Berufsstand der Printjournalisten. Die tz war so weit gegangen mit ihren Vorwürfen, dass Hoeneß endlich lauthals „Jetzt reicht’s!“ ausrufen konnte, ohne dass dies als eine der für ihn typischen Entgleisungen wahrgenommen worden ist. Die Entgleisung – darüber gibt es kaum noch Zweifel – hatte sich die tz geleistet.

Das Boulevardblatt druckte in seiner gestrigen Ausgabe auf der Titelseite einen Widerruf. Daneben stand eine Gegendarstellung von Bastian Schweinsteiger, in der es heißt: „Auf der Titelseite Ihrer Ausgabe vom 17. März 2006 behaupten Sie in der Headline über dem Bruch: ‚Wett-Skandal: Schweini & Agostino zum Polizei-Verhör“. Diese Behauptung ist, was mich betrifft, eine Lüge.“ Das steht es also, das böse Wort: Lüge. Die tz muss sich auf ihrer eigenen Titelseite als Lügnerin bezichtigen lassen.

Max Breitner, der Mann mit dem berühmten Nachnamen, der für den Artikel über Schweinsteigers angebliche Verwicklung in eine Wett-Affäre verantwortlich zeichnet, wäre demnach ein Lügner. Er war zu einer Stellungnahme nicht bereit. „Darüber sage ich zurzeit gar nichts“, sagte er gegenüber der taz. Wahrscheinlich hat er Besseres zu tun, als sich mit Kollegen anderer Zeitungen darüber zu unterhalten, wie es zu dem Artikel in der letzten Freitagsausgabe gekommen ist. Dass er auf dem Trainingsgelände der Bayern in der Säbener Straße nicht mehr gern gesehen ist, wird ihm schnell klar geworden sein. Seine Kollegen in der Redaktion werden es ebenfalls schwerer haben, wenn sie sich an den FC Bayern wenden.

Die direkte Konkurrenz auf dem Münchner Zeitungsmarkt, die Abendzeitung, könnte davon profitieren. Heimlich still und leise genießt man dort das Schicksal des Konkurrenzblattes. Über die Zeitungsaffäre stand in der gestrigen Ausgabe der Abendzeitung kein einziges Wort. Ob das dem von Uli Hoeneß ansonsten besonders gern kritisierten Boulevardblatt einen besseren Draht zum FC Bayern beschert, muss abgewartet werden. Der Fall tz hat den Bayernmanager in seinem grundsätzlichen Misstrauen der Meute gegenüber bestätigt.