Was nun, Monsieur de Villepin?

Der Premier und sein Widersacher im Rennen um die Präsidentschaft, Innenminister Nicolas Sarkozy, schweigen bislang über ihre nächsten Schritte. Normalerweise ziehen beide Männer Vorteile aus einer Niederlage des anderen. Nun sitzen sie im selben Boot

PARIS taz ■ Der Spielraum für die vor zehn Monaten angetretene Regierung des Chiracs-Vertrauten Dominique de Villepin, der monatelang ganz oben auf der Popularitätswelle schwamm, ist an diesem Wochenende enger geworden. Die Proteste gegen den „cpe“ sind so stark und politisch so breit geworden, dass er sich in der ursprünglichen Form nicht mehr halten lässt. Zusätzlich zu der Kritik aus Gewerkschaften und aus der linken Opposition mehren sich jetzt auch im rechten Lager Stimmen, die zumindest eine „Anpassung“ des Gesetzes vorschlagen.

Die rechten Vorschläge zu einer Anpassung des „cpe“ reichen von der Verkürzung der darin vorgesehenen Probezeit auf ein Jahr über eine Verbesserung des Anspruchs von entlassenen Jugendlichen auf Arbeitslosengeld.

Die linken Vorschläge gehen wesentlich weiter. Die Oppositionsparteien im Parlament haben den Verfassungsrat angerufen, nachdem der Premierminister ihre Kritik im Parlament mittels Art. 49-3 schlicht abgewürgt hat. Das Argument von Kommunisten und Sozialisten beim Verfassungsrat lautet: Der „cpe“ diskriminiert die unter 26-Jährigen. Und verstößt daher gegen das Gleichbehandlungsgebot. Im Detail betrachtet, gehen die Vorstellungen von PS und KP freilich auseinander. Die Spitzen der PS rufen längst zu „Ruhe und Besonnenheit“ auf. Die Partei hat kein Interesse an einer weiteren Radikalisierung der Basis. Denn bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 wird sie voraussichtlich eine Person ins Rennen schicken, deren Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nicht grundsätzlich mit der Politik der De-Villepin-Regierung brechen wird. Bisher war die soziale Bewegung gegen den „cpe“ eine aktive Wahlhilfe für die PS. Anders verhält es sich bei der zweiten linken Oppositionspartei, der KPF. Sie setzt auf die „soziale Dynamik“ der Proteste. Denn die würden dazu führen, dass auch andere sozialpolitische Maßnahmen der De-Villepin-Regierung kippen könnten.

Anders als sonst haben beim „cpe“ alle fünf konkurrierenden nationalen Gewerkschaftszentralen bislang an einem Strang gezogen. Alle verlangen, dass die Regierung, von der sie mit dem „cpe“ vor vollendete Tatsachen gestellt worden sind, ihr Gesetz komplett zurückzieht. Erst danach wollen die Gewerkschaften Verhandlungen über neue Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit beginnen. In Frankreich liegt die landesweit bei rund 23 Prozent, in manchen sozialen Brennpunkten sogar bei bis zu 50 Prozent. Niemand bezweifelt, dass beschäftigungspolitische Maßnahmen nötig sind, um Arbeitsplätze für die unter 26-Jährigen zu schaffen. Die größte französische Gewerkschaft, CGT, und mehrere andere linke Gewerkschaften sprechen seit diesem Wochenende von Generalstreiks, die mindestens einen Tag dauern sollen. Anders hingegen die reformistische Gewerkschaft Cfdt, die dem deutschen Gewerkschaftsbund DGT nahe steht. Sie schweigt zum Thema Streik. Und viele Linke befürchten, dass daran die bisherige gewerkschaftliche Einheitsfront in den nächsten Tagen zerbrechen könnte.

Die rechte Regierung schwieg gestern hartnäckig zu dem Erfolg der Demonstrationen. Weder der Premierminister noch sein hauptsächlicher rechter Widersacher bei dem bevorstehenden Rennen um die Staatspräsidentschaft, Innenminister Nicolas Sarkozy, äußerten sich zu ihren nächsten Schritten. Anders als sonst, wenn einer der beiden Männer Vorteile aus einer Niederlage des anderen zu ziehen hofft, sitzen de Villepin und Sarkozy nun im selben Boot. Der Untergang des einen würde, so die Analyse beider, auch den anderen mit in die Tiefe ziehen.

DOROTHEA HAHN