Grün geht immer

Die Grünen könnten werden, was die SPD schon lange ist: ein Koalitionspartner für fast jede Partei. In Teilen ähneln die Ex-Alternativen nicht nur SPD und Linkspartei, sondern auch CDU, FDP und WASG

VON MATTHIAS LOHRE

Ein hingeworfener Nebensatz war es nur, aber er offenbarte Dilemma und Chance der Grünen. Als Franziska Eichstädt-Bohlig am vergangenen Dienstag die Wahlkampfthemen ihres Landesverbands vorstellte, sagte sie beiläufig: „Das unterscheidet sich nicht unbedingt von anderen Parteien.“ Sie meinte zwar nur einen kleinen Teil des Wahlprogramms, das die Grünen-Delegierten heute verabschieden wollen: die Förderung von Existenzgründern. Aber Eichstädt-Bohligs Worte treffen auch bei vielen anderen Themen zu.

Links? Ökologisch? Wirtschaftsfeindlich? All diese Etiketten verblassen. Die Berliner Grünen wandeln sich kontinuierlich zur kleinen Volkspartei – zum möglichen Koalitionspartner für jeden demokratischen Konkurrenten. Studierende, sozial schwache Alleinerziehende können sich in ihrem Wahlprogramm ebenso wiederfinden wie HauseigentümerInnen und UnternehmensgründerInnen.

Eine „FDP-Position“ wirft die SPD den Grünen beim Umgang mit Unternehmensbeteiligungen des Landes vor. Die Grünen wollen große Teile des kommunalen Wohnungsbestands verkaufen. Statt der heutigen rund 280.000 Wohnungen tun es aus ihrer Sicht auch 160.000, gleichmäßig verteilt auf die Bezirke. Staatsferner als die SozialdemokratInnen sind die Grünen auch, was Konkurrenz für Bus und Bahn angeht. Sie wollen, ähnlich der FDP, Konkurrenz für die monopolartigen Verkehrsbetriebe.

Auch im Umgang mit der CDU ist man sich einiger, als es manchmal scheint. In der Enquetekommission „Eine Zukunft für Berlin“ offenbarten Grüne und Unions-Leute im vergangenen Jahr Gemeinsamkeiten, etwa bei der Wirtschaftsförderung. Ein weiteres „Sparen, bis es quietscht“, urteilten damals beide Seiten, schade der Stadt.

Andererseits haben sich die Grünen auch utopisch scheinende Projekte bewahrt. Beim Thema Wasserbetriebe teilen sie ihre Position nicht nur mit der Ex-PDS, sondern sogar mit den Linksdraußen der Berliner Politik, der WASG. „Nachverhandeln“ will Eichstädt-Bohlig den Vertrag über den Teilverkauf der Wasserbetriebe. Die grüne Spitzenkandidatin will das Unternehmen verpflichten, mehr Geld in die Klärtechnik zu stecken, um Berlins Flüsse weniger zu belasten. Wie die Nachverhandlung aussehen soll, ist unklar. Der Verkauf ist sieben Jahre her.

Die Nähe der Grünen zur SPD ist offenkundig. Eichstädt-Bohlig, bis zum vergangenen Jahr Bundestagsabgeordnete, propagiert auch für Berlin den Segen einer dritten rot-grünen Koalitionsregierung. „Antreiben“ wolle ihre Partei den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, um das Reformtempo zu steigern.

Und wohin wollen die 3.700 Berliner Mitglieder? Weil die meisten Parteien ebenfalls auf die klassischen Grünenthemen Bildung und Integration setzen, droht den Grünen die Ununterscheidbarkeit. Erstaunlich ist daran nur, dass dies die WählerInnen nicht beunruhigt. Allzu viel Andersartigkeit scheinen sie von ihrer Partei, die in Umfragen seit Monaten stabil zwischen 13 und 15 Prozent liegt, gar nicht zu erwarten. Am treffendsten und in entwaffnender Ehrlichkeit drückte es wieder einmal Franziska Eichstädt-Bohlig aus: „Wir haben sicher keine anderen Grundrezepte als die anderen Parteien“, es komme vielmehr auf die Details an. Die Kandidatin wirkte dabei ganz gelassen.