EU-BEITRITTE: DIE BEVÖLKERUNG MURRT, UND DIE HÜRDEN WERDEN HÖHER
: Der Reformdruck auf die Kandidaten sinkt

Selbstlos waren die Motive nie, die dazu geführt haben, dass aus 6 Gründungsstaaten eine EU mit heute 25 Mitgliedern wurde. Ob es nun darum ging, mehr Wachstum aus einem vergrößerten Markt zu schöpfen, angrenzende Regionen zu befrieden oder in der Weltpolitik mit mehr Gewicht auftreten zu können – die gnädig akzeptierten Bewerber waren immer auch Mittel zum Zweck.

Nach der vorerst letzten Runde, wo auf einen Schlag zehn neue Länder aufgenommen wurden, hat sich Ernüchterung breit gemacht. Zwar boomt die Wirtschaft bei den Neulingen, die alte EU profitiert aber bislang in der öffentlichen Wahrnehmung wenig davon. Auch die außenpolitische Geltung ist nicht im erhofften Umfang gewachsen. Polen als größter EU-Neuling stellt das Selbstwertgefühl der Gründerstaaten, die sich als Wertegemeinschaft in kritischer Partnerschaft und Konkurrenz zu den USA verstehen, auf eine harte Probe.

Schon vor der Erweiterung haben die damals fünfzehn Mitglieder oft gestritten. Aber aus der Spaltung um den Irakkrieg ist nun ein Dauerzustand geworden. Ob Hamas-Sieg, Kongo-Einsatz oder Karikaturenstreit: Auf eine klare Position der Union wartet man vergeblich. Sicher ist das Unbehagen über eine zerfasernde EU nur ein Grund unter vielen, die zur ablehnenden Haltung in vielen Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Verfassung geführt hat. Die Ablehnung einer Türkeimitgliedschaft schält sich aber in Umfragen als kleinster gemeinsamer Nenner heraus.

Da es gegen Vogelgrippe, Billigkonkurrenz aus China oder unsichere Renten keine rasch wirkenden Rezepte gibt, wollen die Politiker wenigstens bei der Erweiterung zeigen: Wir nehmen eure Sorgen ernst. Doch die Kandidaten erhalten ein gefährliches Signal – dass sie das Beitrittstempo kaum aus eigener Anstrengung beeinflussen können. Die nächste Erweiterungsrunde hängt allein davon ab, ob sie aus Sicht der bestehenden EU nützlich oder schädlich ist. Politiker und Bevölkerung in der Türkei und auf dem Balkan werden nun wenig Veranlassung sehen, die Reformen so schnell voranzutreiben wie bisher. DANIELA WEINGÄRTNER