„Das ist Ökonomie pur“

„Die Grundsicherung behindert massiv die Bereitschaft, einfach bezahlte Jobs anzunehmen“„Die politische Klasse würde meine Konzepte aus Angst vor den Wählern niemals propagieren“

INTERVIEW NATALIE WIESMANN
UND ANDREAS WYPUTTA

taz: Herr Schneider, ihr Vorschlag, Arbeitssuchende meistbietend zu versteigern, hat für ein heftiges Echo in den Medien gesorgt. Was soll so ein moderner Sklavenmarkt?

Hilmar Schneider: Die Versteigerung von Arbeitslosen habe ich nicht vorgeschlagen. Das, was Sie Versteigerung von Arbeitslosen nennen, war nur ein Detail eines Vortrags, den ich bei einer Veranstaltung der Hanns Martin Schleyer-Stiftung gehalten habe. Dabei habe ich ökonomische Modelle diskutiert, die dafür sorgen, dass die Grundsicherung nur denjenigen zukommt, die am Markt kein existenzsicherndes Einkommen erzielen können – und dass diese Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten das beitragen, was sie können.

Sie fordern die meistbietende Versteigerung der Arbeitskraft von Arbeitssuchenden. Wie soll das konkret aussehen?

Ich habe vorgeschlagen, dass auch Unternehmen und Privatpersonen Tätigkeiten an Menschen vergeben dürfen, die sich schon länger in der sozialen Grundsicherung befinden. Gerade im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen gibt es doch viele Beschäftigungsmöglichkeiten.

Jede Privatperson soll sich einen Arbeitslosen für kurzfristige Tätigkeiten mieten können. Dabei sehen Sie nicht einmal eine Bezahlung der Arbeitssuchenden vor. Wo bleibt da die soziale Sicherheit?

Die Bezahlung besteht in der Grundsicherung. Für einen allein Lebenden sind das immerhin durchschnittlich 650 Euro pro Monat einschließlich Wohnkostenzuschuss. Das entspricht einem Stundenlohn von 5 Euro bei 40 Stunden pro Woche. In Wahrheit zielt Ihre Frage doch in Richtung der sozialen Gerechtigkeit – und da bin ich schon der Meinung, dass wir hinterfragen müssen, was sozial gerecht, was fair ist. Die Solidargemeinschaft kann erwarten, dass diejenigen, die auf ihre Unterstützung angewiesen sind, das, was sie aus eigener Kraft beisteuern können, auch tatsächlich beisteuern. Die Notwendigkeit einer erhöhten Entlohnung dagegen sehe ich nicht. Und die Auftraggeber müssten natürlich zahlen – etwa an die jeweilige Kommune, die die Aufträge an Langzeitarbeitslose weitergibt. Mit diesen Einnahmen könnten dann die horrenden Kosten für die Bezieher von Arbeitslosengeld II gedämpft werden.

Ist es nicht mehr als gewagt, die 345 Euro des Arbeitslosengelds II als soziale Grundsicherung zu bezeichnen?

Wenn Sie damit auch Opernbesuche und den Internetanschluss absichern wollen, dann nicht. Mir ist klar, dass die Grundsicherung gering bemessen ist. Aber eine Grundsicherung ohne Gegenleistung hat nun mal die fatale Konsequenz, dass sie die Bereitschaft, einfach bezahlte Jobs anzunehmen, massiv behindert. 100 oder 200 Euro mehr im Monat erscheinen den meisten Menschen als Zumutung, wenn sie dafür plötzlich arbeiten müssen.

Stattdessen denken Sie über Dumpinglöhne nach. Müsste nicht vielmehr das Arbeitslosengeld II erhöht werden?

Meinetwegen können Sie die Grundsicherung erhöhen, aber dann müssen Sie erst Recht für eine konsequente Einführung des Prinzips der Gegenleistung eintreten. Ansonsten kommen Sie sehr schnell in eine Situation, in der der Staat zahlungs- und damit handlungsunfähig wird. Das ist der völlig falsche Weg. Stattdessen müssen wir die Menschen dazu bringen, möglichst schnell eine Beschäftigung aufzunehmen.

Durch Lohndumping? Das ist doch eine rein ökonomistische Sichtweise.

Das ist Ökonomie pur! Die Menschen handeln ökonomisch. Sehen Sie, in den Wirtschaftswissenschaften gibt es nicht umsonst den Begriff des Arbeitsleids. Nehmen wir doch das derzeit populärste Beispiel – die deutschen Spargelbauern. Damit die auch Kräfte aus Osteuropa beschäftigen dürfen, haben sie die Auflage, 20 Prozent deutsche Langzeitarbeitslose zu engagieren. Schon heute aber wissen die Spargelbauern, dass sie diese Quote nicht erfüllen können – und das bei über fünf Millionen Arbeitslosen! Dabei dürfen die Arbeitslosen sogar einen Teil ihres Lohns zusätzlich zur Grundsicherung behalten. Wir reden hier von rund 250 Euro zusätzlich pro Monat. Dennoch finden sich nicht genügend Arbeitslose, die den Job machen wollen. Als Ökonom schließe ich daraus: Offensichtlich kompensiert der Zugewinn von 200 Euro das Arbeitsleid, den erlittenen Freizeitverlust nicht. Die Grenze scheint da eher bei 500 bis 600 Euro zu liegen.

Spargelstechen ist ein harter Job. Viele, die aus gesundheitlichen Gründen arbeitslos geworden sind, können ihn gar nicht machen. Hätten Sie Lust, Feldarbeiter zu werden?

Nein. Aber wenn ich dazu gezwungen wäre, hätte ich eine große Motivation, mir schnellstmöglich eine andere berufliche Alternative zu suchen. Das ist doch das Problem: Unser soziales System wiegt die Menschen in einer trügerischen Sicherheit. Es suggeriert, wir hätten im Fall der Arbeitslosigkeit erst einmal viel Zeit, uns einen angemessenen, möglichst gut bezahlten Job zu suchen. Dabei sollte Arbeitslosigkeit ein alarmierendes Signal sein: Wer arbeitslos wird, muss sich möglichst schnell einen neuen Arbeitsplatz bemühen. Wer erst einmal ein Jahr und mehr arbeitslos ist, für den wird doch die lange Arbeitslosigkeit selbst zum Makel.

Kurzfristige Tätigkeiten in Privathaushalten oder in der Landwirtschaft sind doch kein Ersatz für einen vollwertigen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz.

Natürlich nicht und das sollen sie auch gar nicht sein. Wenn aber klar ist, dass für die Grundsicherung in jedem Fall gearbeitet werden muss, wird der Anreiz zur Aufnahme regulärer Arbeit größer. Sehen Sie: Wenn jemand, der schon länger arbeitslos ist, für eine Vollzeitbeschäftigung nur 200 oder 300 Euro mehr bekommt als fürs Nichtstun, dann wird er wahrscheinlich ablehnen, weil er das als unwürdig empfindet. Vielleicht genießt er lieber seine Freizeit, vielleicht taucht er in die Schwarzarbeit ab. Dafür habe ich persönlich Verständnis – ökonomisch ist das nur rational, den Begriff des Arbeitsleids habe ich nicht umsonst erwähnt. Wenn aber die Grundsicherung nur gegen eine Vollzeittätigkeit gezahlt wird, ist die Rechnung eine ganz andere: Dann ist es ökonomisch rational, jeden Job anzunehmen, bei dem man mehr verdienen kann als in der Grundsicherung. Dann sind 300 Euro mehr für eine Vollzeittätigkeit eine echte Alternative.

Ihr Modell sieht also so aus: Der Druck auf Langzeitarbeitslose soll massiv erhöht werden. Wer Grundsicherung bezieht, dessen Arbeitskraft darf von staatlicher Seite für weniger als fünf Euro verscherbelt werden. Dadurch steigt der Anreiz, jeden Job, der mehr als fünf Euro die Stunde bringt, anzunehmen. Wie viele Billigjobs könnten denn so entstehen?

Als Anhaltspunkt kann man die Tatsache nehmen, dass heute ein Sechstel unseres Bruttoinlandsprodukts in der Schwarzarbeit erwirtschaftet wird. Das sind häufig Jobs im unteren Lohnbereich. Bei den gerade einmal knapp 30 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, die wir in Deutschland noch haben, entspricht ein Sechstel knapp fünf Millionen zusätzlichen Jobs. Wir hätten damit also faktisch – Vollbeschäftigung.

Wenn der Preis der Arbeitskraft gegen Null gedrückt wird, ist plötzlich unendlich viel Arbeit vorhanden. Aber ist es nicht ein Gebot der Menschenwürde, dass eine Vollzeittätigkeit existenzsichernd bezahlt wird? Brauchen wir nicht einen wirklich existenzsichernden Mindestlohn?

Der besteht doch durch die existenzsichernde Grundsicherung bereits faktisch. Im Übrigen würde ein staatlich verordneter Mindestlohn eine Menge Jobs vernichten – etwa von Menschen, die trotz Arbeitslosigkeit über ihren Partner, ihre Partnerin abgesichert sind und dennoch etwas dazuverdienen wollen.

Soziologen wie etwa Sascha Liebermann von der Initiative ‚Freiheit statt Vollbeschäftigung‘ würden bei Ihren Vorschlägen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und Ihnen vorwerfen, Sie propagierten sinnentleerte Arbeit um jeden Preis. Erst eine bedingungslose Grundsicherung gebe den Menschen die Freiheit, das zu tun, was sie wirklich wollen, argumentieren sie. So könnten ungeahnte Schübe an Produktivität und Kreativität freigesetzt werden.

Ich kenne Liebermanns Initiative. Die vernachlässigt eines: Der Mensch handelt nicht immer so, wie es gut, richtig und zum Besten aller ist. Aus kurzfristigen Profitinteressen zerstören wir stattdessen unsere eigenen Lebensgrundlagen. Denken Sie doch nur an den Regenwald oder an die Fischbestände. Wenn nur 20 Prozent der Menschen aus rein egoistischen Motiven handeln, müssen wir die anderen 80 Prozent schützen – und das funktioniert am besten über ökonomische Zwänge.

Kritik kommt auch von politischer Seite. Man könne gar nicht verstehen, wie ein derart seriöses Haus wie Ihr Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit derart unseriöse Vorschläge wie die Versteigerung von Arbeitslosen machen könne, heißt es aus dem NRW-Arbeitsministerium. Stattdessen denkt CDU-Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann über die Einführung von Kombilöhnen nach.

Kombilöhne, kombiniert mit der bestehenden Grundsicherung, schaffen keine neuen Jobs. Sie produzieren vielmehr Mitnahmeeffekte, bringen Unternehmen in die Versuchung, schlechter bezahlte Jobs formal zu streichen, um sie dann mit staatlicher Unterstützung neu zu schaffen. Das kann pro Arbeitsplatz bis zu 70.000 Euro kosten – und Herr Laumann weiß das auch. Deshalb lassen seine konkreten Vorschläge zum Kombilohn auch auf sich warten.

Sie lehnen den Kombilohn also wie den Mindestlohn ab. Verfügt die Politik denn Ihrer Meinung nach überhaupt über Konzepte, die Arbeitslosigkeit dauerhaft zu bekämpfen?

Über Konzepte schon – nur gelten die als politisch nicht durchsetzbar. Meine Aufgabe als unabhängiger Wissenschaftler besteht deshalb auch darin, sinnvolle Vorschläge in die Debatte einzubringen, die die politische Klasse aus Angst vor dem Unmut der Wähler niemals von sich aus propagieren würde. Auf diese Weise gibt es wenigstens eine kleine Chance auf einen Bewusstseinswandel, aus dem heraus dann ein zukunftsfähiges und nachhaltiges soziales Sicherungssystem entsteht.