Monopoly ohne Regeln

Brüssel fordert eine gemeinsame Energiepolitik der EU-Staaten. Doch ein europäischer Binnenmarkt für Energie scheint noch immer in weiter Ferne – zum Nachteil der Kunden

Brüssel misst mit zweierlei Maß: Denn Frankreich und Italien schotten ihre Strommärkte ungestraft abEon hat gezeigt: Es muss kein Vorteil sein, wenn der Stromlieferant aus dem eigenen Land stammt

Seit Russland kürzlich im Preisstreit mit der Ukraine kurzfristig den Gashahn zudrehte und daraufhin auch der Druck in europäischen Leitungen sank, ist den Europäern klar, dass ihre Energieversorgung am seidenen Faden hängt. Umfragen zeigen, dass die Verbraucher von Brüssel erwarten, Versorgungssicherheit und faire Preise zu garantieren. Beim harten Poker um die knappen Ressourcen hat ein Binnenmarkt von 450 Millionen Menschen schließlich mehr Gewicht als jedes Land für sich.

Die großen Energiekonzerne funktionieren jedoch nach einer anderen Logik: Sie kaufen zusammen, was sie bekommen können. Die Unterlegenen wehren sich, indem sie die nationale Karte ziehen. Das liegt in Europa derzeit ohnehin im Trend. Die EU-Kommission droht zwar mit Vertragsverletzungsverfahren, doch das macht wenig Eindruck. Deshalb wird das Energie-Monopoly weitgehend ohne Spielregeln gespielt. Zum Nachteil der Kunden.

Beispiele aus der jüngsten Zeit: Da will der Düsseldofer Eon-Konzern den spanischen Stromversorger Endesa schlucken. Doch Spaniens sozialistischer Regierungschef Zapatero ist dagegen und bekommt Schützenhilfe aus Italien: Der Enel-Konzern hat angeboten, die teutonische Attacke abzuwehren und der spanischen Gas Natural dabei zu helfen, das Eon-Angebot zu übertrumpfen. Die Rolle von Enel erinnert dabei an den großen bösen Wolf, der sich Großmutters Häubchen aufgesetzt hat. Denn der italienische Energieriese ist scharf auf den französischen Energiekonzern Suez. Der wiederum prüft ein Schutzbündnis mit dem französischen Gaz-de-France-Konzern, der zu 70 Prozent dem französischen Staat gehört.

Das liest sich wie eine Comic-Version von Karl Marx’ „Kapital“. Experten sprechen von „Marktbereinigung“ und prophezeien, am Ende würden nur vier große Anbieter in Europa übrig bleiben. Die hätten dann Chancen beim richtig großen Monopoly um die Öl- und Gasreserven der Erde. Doch was bedeutet das alles für den Verbraucher? Ihm kann es schließlich egal sein, ob ihm ein heimatlicher oder ein multinationaler Konzern das Fell über die Ohren zieht.

Denn der Streit um die überhöhten Gaspreise beim Düsseldorfer Anbieter Eon hat gezeigt, dass es für den Kunden kein Vorteil sein muss, wenn sein Lieferant aus dem eigenen Land stammt. Ein echter Binnenmarkt würde nur entstehen, wenn die Kunden ihren Strom- und Gaslieferanten frei wählen und dabei überall in Europa einkaufen gehen könnten. Genau daran hapert es aber. Die Verbindungsstellen von einem nationalen Netz ins andere sind zu schwach und können keine großen Energiemengen durchleiten. Die Kommission kann die Konzerne nicht zwingen, hier mehr zu investieren. Außerdem sorgen langfristige Verträge dafür, dass Neueinsteiger auf dem Gasmarkt keine Chance haben.

Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat untersuchen lassen, wie es mit der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte in der EU bestellt ist. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Verbraucher in der Praxis noch immer nicht frei wählen können, ob sie ihren Strom von einem heimischen oder einem ausländischen Anbieter beziehen wollen. Undurchsichtige Preisstrukturen und bürokratische Auflagen beim Netzzugang benachteiligten zusätzlich zu den technischen Einschränkungen vor allem erneuerbare Energien gegenüber Gas, Öl und Atomkraft.

Da der Binnenmarkt für Energie derzeit eine Illusion scheint, werden nationale Reflexe wach, sobald die Ressourcen knapp und teuer sind. Könnten etwa polnische Verbraucher problemlos bei Ruhrgas einkaufen, würde sich die polnische Regierung weniger darüber aufregen, dass die neue russische Zulieferleitung nach Deutschland durch die Ostsee führt und damit polnischer Kontrolle entzogen ist.

Mit zweierlei Maß werde in Brüssel gemessen, wenn es um Fusionskontrolle und nationale Schutzreflexe gehe, klagt die katalanische Zeitung El Periódico: Nie habe die EU-Kommission dagegen protestiert, dass Eon zehn Jahre lang gegen die Übernahme durch ausländische Unternehmen geschützt sei. Auch die großen Länder Frankreich und Italien dürften ihre Strommärkte ungestraft abschotten. Wenn aber Spanien verhindern wolle, dass sein Stromversorger Endesa von einem deutschen Unternehmen geschluckt werde, reagiere die Brüsseler Behörde mit einer Verwarnung. Die Erbitterung ist verständlich. Natürlich bestätigt in Brüssel niemand offiziell, dass für die kleinen und die großen EU-Länder unterschiedliche Spielregeln gelten. In der Praxis zeigt sich aber, dass sich die Kommission an den großen Ländern und ihren mächtigen nationalen Stromkonzernen die Zähne ausbeißt.

Diese „Bunkermentalität“ in der Energiepolitik schwäche mittelfristig die Chancen der europäischen Anbieter auf dem Weltmarkt, warnt der ehemalige Wettbewerbskommissar Karel van Miert. Der amtierende Ratspräsident, Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, fordert ebenso wie das heute veröffentlichte Grünbuch der Kommission eine spezielle europäische Wettbewerbsaufsicht für den Energiemarkt. Es ist kein Zufall, dass die Forderung von Politikern aus kleinen Mitgliedsländern stammt: Sie leiden am meisten darunter, dass die Großen den Markt unter sich aufteilen, ohne dass die EU-Kommission es verhindern kann.

Angesichts der angespannten Lage auf dem Öl- und Gasmarkt rückt wieder ins Blickfeld, dass die Europäische Union ursprünglich aus einem Energiesicherungsverbund, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, hervorgegangen ist. In den letzten drei Reformen der EU-Verträge, in Maastricht, Amsterdam und Nizza, ist der Versuch gescheitert, der EU-Kommission eine stärkere Kompetenz in Energiefragen zuzugestehen. Im Entwurf für eine EU-Verfassung dagegen steht, dass Versorgungssicherheit, Energieeffizienz sowie die Förderung neuer und erneuerbarer Energiequellen auf europäischer Ebene geregelt werden muss. Brüssel soll dafür zuständig sein, dass der europäische Energiemarkt funktioniert.

Das deckt sich mit dem, was die Bürger in Umfragen verlangen. Und es steht in krassem Widerspruch zum ebenfalls erkennbaren Trend, die europäische Verfassung abzulehnen und Macht für die Nationalstaaten zurückzufordern. Brüssel soll es also irgendwie richten, ohne sich in die Belange der Mitgliedsländer einzumischen. Dieses schizophrene Spiel ist zwar nicht neu. Die nationalen Töne sind heute allerdings lauter als früher.

Die Wähler müssen sich also entscheiden: Glauben sie, dass jede nationale Regierung allein besser für stabile Preise, neue Energieträger und Versorgungssicherheit sorgen kann? Oder sehen sie für sich im internationalen Monopoly bessere Chancen, wenn Europa als einheitlicher Interessenblock auftritt? Denn die EU-Kommission kann nur die Macht ausüben, die die Regierungen ihr zugestehen.

DANIELA WEINGÄRTNER