Nervöse Föderalisten

In SPD und FDP große Zweifel an föderaler Reform. Große Koalition entschlossen, Minderheitenrechte zu verletzen

BERLIN taz ■ Es war der Tag zwei nach dem vermeintlichen Absegnen der großen Reform, der Neujustierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Anders als es die hehren Worte an Tag eins vermuten ließen, werden die Mehrheitsmanager in der großen Koalition nervös. Sie müssen immerhin eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und -tag organisieren. Dazu brauchen sie mehr Zustimmung, als sie bisher bekommen haben.

Die SPD-Fraktion im Bundestag diskutierte am Montagabend, wie Teilnehmer gestern berichteten, auf hohem Niveau – und kritischer, als es viele erwartet hatten. Formell winkte die Fraktion zwar den Entwurf über ein Vielzahl von Verfassungs- und Gesetzesänderungen durch. SPD-Bundestagsabgeordnete betonten freilich, das Plazet habe lediglich dem Einbringen gegolten, nicht dem Entwurf selbst. Überraschend war die Zahl von 100 Neinstimmen und Enthaltungen. Dem Vernehmen nach waren es mehr, als die Zweidrittelmehrheit im Bundestag verträgt. Obendrein hatten jüngere SPDler angekündigt, dass etwa fünfzig Anhänger ihres Netzwerks den Entwürfen „so nicht zustimmen“ werden.

Theoretisch könnten sich bis zu 39 Sozialdemokraten enthalten oder mit Nein stimmen – und die Reform käme trotzdem durch. Für die Verfassungsänderung im Bundestag sind 409 der 614 Abgeordneten nötig. Die große Koalition kommt auf 448 Abgeordnete.

Besondere Empörung hat in der SPD-Fraktion hervorgerufen, „dass ein Verfassungsorgan das andere zu erpressen versucht“, wie ein Parlamentarier in der Sitzung des SPD-Fraktion sagte. Er erhielt viel Applaus. Gemeint sind Warnungen von Ministerpräsidenten auch der SPD an den Bundestag, das Föderalismuspaket erneut aufzuschnüren, sprich: Änderungen zu verlangen. „Es ist ein Skandal, dass Mitglieder des Bundesrats dem Bundestag das Denken und Handeln verbieten wollen“, hieß es dazu in der Fraktion.

In der SPD wurde aufmerksam registriert, dass nur wenige Abgeordnete sich explizit für die Reform in der vorliegenden Fassung aussprachen. SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel, der sich zunächst als Gegner zu erkennen gegeben hatte, habe für die Föderalismusreform votiert. SPD-Fraktionschef Peter Struck, so heißt es, habe sich auffallend zurückgehalten.

Auch in der FDP verhärten sich die Fronten. In einer Fraktionsklausur setzte sich eine Pro-Föderalismus-Mehrheit durch, allerdings gibt es auch dort rund ein Drittel an Gegenstimmen und Enthaltungen. Darunter prominente FDPler wie die Exgeneralsekretärin Cornelia Pieper. Sie sagte dem Vernehmen nach, sie sei für eine Reform, „deswegen werde ich aber nicht für jede Dummheit stimmen“. Pieper hat Bedenken wegen der Benachteiligung der Ostländer.

Zu einem handfesten Krach wird es morgen im Bundestag kommen. Das Plenum hatte Anträge zum Föderalismus an den Bildungs- und den Umweltausschuss überwiesen, wo heute eigene Anhörungen zur Reform mit Minderheitenvoten der Opposition beschlossen werden. Weil die große Koalition dies verhindern will, wird sie das Plenum erneut mit dem Fall befassen – um das Thema dem Ausschüssen wieder zu entziehen. Juristisch ist dies fragwürdig, denn der Bundestag müsste dazu rechtsgültige Beschlüsse annullieren und dabei Minderheitenrechte verletzen. „Die Koalition begeht übelste Trickserei mit der Geschäftsordnung“, sagte dazu die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz.

CHRISTIAN FÜLLER