armbrüche etc.
: Kaiserliche Gefühle

Seit ich mir den linken Arm gebrochen habe, kommt mir Wilhelm II. näher. Auf Gemälden, Fotos und anderen Stills bleibt es ja unsichtbar. Unmöglich zu verheimlichen war es der Filmkamera. Am deutlichsten im Gedächtnis stehen mir Aufnahmen vom Kaiser bei der Jagd (der er sich so leidenschaftlich widmete wie Honecker oder Ceauçescu). Schlaff hängt der linke Arm herab, während Wilhelm mit dem rechten das Gewehr hält und begeistert auf den stolzen Hirsch, den mächtigen Keiler feuert.

Den gebrochenen Arm einfach herabhängen zu lassen, das empfahl mir schon der Doc im Krankenhaus; ich dürfe ihn sogar ein wenig schlenkern. Ebenfalls erlaubt ist Anwinkeln und mit der Hand in Brusthöhe das Jackett festhalten – wobei der Doc, den ich ambulant aufsuchte, gleich einen zweiten Kaiser ins Spiel brachte, Napoleon, der ikonisch die (rechte) Hand oberhalb des Magens in die Weste schiebt (woraus man auf chronische Schmerzen und Krebs geschlossen hat).

Meine Schmerzen rühren von der Operationsnarbe her, die sich über den ganzen Oberarmmuskel erstreckt und bei jeder Bewegung ziept. Andere Schmerzen kommen bedrohlich aus dem Innern des Arms, wo die Knochen, wie ich phantasiere, sich kriegerisch gegen das Zusammenwachsen wehren und die Metallplatte, die sie dazu zwingen soll, als neuen Wohngenossen im dunklen Innern meines Fleisches ablehnen. Lieber bleibt man auf immer getrennt. Die Docs versichern, ich hätte gute Aussichten, in einem Vierteljahr den Status quo ante wieder zu erreichen und Wilhelm II. (sowie Napoleon) verlässlich hinter mir zu lassen. Ich zweifle daran; der Zustand der Invalidität strahlt eine Evidenz aus, die durch erkenntnistheoretische oder geschichtsphilosophische Reflexion – stets wächst zusammen, was zusammengehört – nicht entkräftet werden kann.

Was Wilhelm II. – eine peinliche Persönlichkeit, ein schlechter Führer seines Volkes – auf den überlieferten Filmsequenzen sympathisch macht: Er raucht ausgiebig, Zigaretten, deren er sich mit rechts mühelos bedienen kann. Das mildert seine ganze Operettenexistenz – vermutlich tröstete es ihn selber am besten bei seinen Auftritten. Leider habe ich mir das Zigarettenrauchen schon vor Jahrzehnten abgewöhnt. MICHAEL RUTSCHKY