DIE EX DES BRUDERS
: Unterwassertränen

Und dann küsste sie mich. Einfach so

Ich saß mit ihr auf den Eingangsstufen von Rossmann, es war vier Uhr morgens, und eigentlich war es dafür viel zu kalt, aber wir teilten uns gemeinsam eine Zigarette nach der anderen, und irgendwie kam die Kälte in dieser Nacht nicht an uns heran. Drinnen im Magnet war es laut und stickig, und alle anderen waren schwer betrunken, nur ich hatte vor lauter Müdigkeit einen merkwürdig klaren Kopf.

Sie erzählte mir von ihrem Exfreund, der mein Bruder ist, und dabei weinte sie. Sie hatten sich vor einem halben Jahr getrennt. Ich war von der Situation überfordert. Was sollte ich tun? Sie in den Arm nehmen? Oder ihr einfach nur weiter zuhören? Ich entschied mich fürs Zuhören und erfuhr Dinge über meinen Bruder, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte. „Er hat im Prinzenbad mit mir Schluss gemacht“, sagte sie. „Auf der Liegewiese.“ – „Es gibt schlechtere Orte“, sagte ich. „Verdammt, halbnackt in der Öffentlichkeit!“, rief sie. „Ich bin danach ins große Becken gesprungen und eine Stunde von einem Ende zum anderen geschwommen, nur damit niemand sieht, dass ich am Heulen bin.“ Sie wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. „Im Krieg und in der Liebe?“, begann ich. „Drecksliebe“, sagte sie. Ich zuckte mit den Achseln. „Ich will ihn ja gar nicht verteidigen.“

„Ach, scheiß doch drauf, scheiß doch drauf, scheiß doch drauf!“, rief sie und stieß mit ihrer Zigarette ein Loch in den Himmel, aus dem es jetzt angefangen hatte zu schneien. „Genau, scheiß drauf“, sagte ich. Ich legte den Kopf in den Nacken. Es sah schön aus. Der Himmel, der stille Schnee, das gelbe Licht der Straßenlaternen.

Und dann küsste sie mich. Einfach so. Es fühlte sich weder richtig noch falsch an. Ich schloss die Augen und sah sie im Prinzenbad ihre Bahnen ziehen, während mein Bruder im Hintergrund sein Handtuch zusammenrollte. DANIEL KLAUS