So klappt’s auch mit …

... dem Liebesbrief

Das ist alles so viel in meinem Kopf, als ob man nach einem Glas Wein aufsteht und ins Schwanken gerät

VON STEFFI DOBMEIER
(TEXT) UND ELÉONORE ROEDEL (ILLUSTRATION)

Kitsch ist der Todesstoß für jeden Liebesbrief. Wenn da etwas von Herz und Schmerz steht, mit Rosen auf dem Umschlag und vielen Schnörkeln drum herum, dann lieber nicht. Wie aber schreibe ich einen Liebesbrief, der nicht kitschig klingt? „Sie sind definitiv in der Klemme“, sagt Wolfgang Braungart. Er ist Literaturwissenschaftler an der Universität in Bielefeld, hat einen Doktor- und einen Professorentitel und soll mir helfen. Weil Kitsch etwas mit einfachen Worten und Sätzen zu tun hat, die jeder versteht, die aber schnell so klingen, als hätte man sie sich irgendwo geborgt, ohne sich besondere Mühe bei der Suche zu geben. Weil ein Liebesbrief aber deutlich sein soll. Und das geht eben am einfachsten mit Sätzen, die jeder versteht. Damit wären wir auch schon bei meinem Dilemma.

Das Wort Kitsch taucht zum ersten Mal als Verb auf, Ende des 19. Jahrhunderts. Kitschen – das hieß so viel wie Straßendreck zusammenscharren. Schmutz also. Ästhetischer Schmutz, so müsste man Kitsch demzufolge verstehen, sagt Braungart. „Der Begriff war von Anfang an negativ behaftet.“ Der Wissenschaftler führt das auf die Industrialisierung zurück, als Kunst und Kultur mehr und mehr zur Ware wurden. Kunst, die wenig komplex war und kommerziell hergestellt wurde, war Kitsch.

Ein guter Liebesbrief soll authentisch sein und ernsthaft. Wenn ich verstanden werden will, dann kann ich nicht nur auf den unergründlichen Kosmos meiner eigenen Gefühle verweisen. Dann muss ich Worte verwenden, die es so natürlich schon tausendfach gegeben hat. Also genau das, was in der Kunst als Kitsch bezeichnet wird. Einfache Effekte durch sprachliche Massenware. Als ob es irgendetwas gäbe, das über die Liebe noch nicht geschrieben wurde.

Kennst du das, wenn du durch eine Stadt stolperst und die Menschen dich komisch anschauen, weil da dieses breite Grinsen in deinem Gesicht ist, das du einfach nicht wegbekommst? So geht es mir. Ich wache morgens auf, und egal was ich geträumt habe, noch bevor ich meine Aufgen aufmache, bist da du in meinem Kopf.

Ich bediene mich – notgedrungen – vorgefertigter Muster. Nicht jeder Satz ist einzigartig, ich borge mir Sätze, die andere Menschen schon verwendet haben, um das auszudrücken, was ich sagen will. So als würde ich im Supermarkt zur Merci-Schachtel oder den Mon Chéries greifen. Dafür verzichte ich auf sprachliche Bilder. Und auch auf Reime. Keine Herzen, keine Rosen, ich nehme schwarze Tinte und keine rote, kein Parfüm. Ich reime Herz nicht auf Schmerz und auch auf sonst nichts. Denn, das sagt auch Braungart, Reime können schnell arg konventionell und schematisch geraten. Damit also kitschig. Und auch, wenn ich mich möglichst deutlich ausdrücken will, so versuche ich trotz allem, meine Sätze so komplex wie möglich zu formulieren. Denn je komplexer, desto weniger kitschig.

Das ist alles so viel in meinem Kopf, so als ob man nach einem Glas Wein zu viel plötzlich aufsteht und ins Schwanken gerät. Ein bisschen schwindelig, aber trotzdem schön. Die Energie in meinem Körper ist damit beschäftigt, meine Knie stabil und meinen Verstand bei Sinnen zu halten.

Ich verlasse mich auf mein Sprachgefühl und darauf, dass besagter Mann weiß, wie ich es meine. Denn auch das gehört dazu: ein Gegenüber, das mich kennt und weiß, warum mir manches leichter aus dem Mund und aufs Papier purzelt als anderes. Der Satz von Antoine de Saint-Exupéry kommt mir in den Sinn. Der mit der Liebe, und dass sie für die Augen unsichtbar ist, nicht aber fürs Herz. Auch kitschig, aber trotzdem wahr.

Noch ein Tipp des Experten: Ich solle beim Schreiben „flankierende Maßnahmen ergreifen“. Damit meint er, ich soll die Situation, in der ich bin, beim Schreiben miteinbeziehen, der Authentizität wegen.

Es ist schon längst Zeit zu schlafen, aber an Schlaf ist nicht zu denken, denn ich sitze hier und will dir schreiben. Um einen guten Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen, ohne zu wissen, was du sagen willst, und endigen, ohne zu wissen, was du gesagt hast. Hat schon Jean-Jacques Rousseau gesagt. Er hatte Recht, denn ich bin mir gerade gar nicht sicher, was ich eigentlich geschrieben habe.

In der Hoffnung, dass all das dem Liebsten direkt ins Herz trifft. Ich verwende ein bisschen Pathos, ein bisschen Fantasie und vor allem viel Liebe. Denn, und das sagt auch Wolfgang Braungart, „ohne Liebe hat ein Liebesbrief keinen Sinn“.

Ich warte auf Antwort.