Die abgelegene Götterinsel

Portland im Nordosten Jamaikas ist der vielleicht ruhigste und schönste Teil der Insel. Zwischen dem türkisfarbenen Meer und den wolkenverhangenen Blue Mountains wird weitab vom Massentourismus auf nachhaltige Erholung gesetzt

Bis heute ist Port Antonio angenehm verschlafen, die Menschen liebenswürdig, ihr Kreolisch betörend

VON OLE SCHULZ

Drei Tage lang war die Yacht ohne Verbindung zur Außenwelt, ohne Funkkontakt schlingerte die „Zaca“ in einem überraschenden Frühlingssturm durch die aufgewühlte karibische See. Auf einmal wird die Küstenlinie einer bergigen Insel gesichtet. Errol Flynn, der Eigner der Luxusyacht, weiß nicht wohin es ihn verschlagen hat, als die „Zaca“ in den nächsten Hafen einläuft, wo die Leute den Hollywoodstar erkennen und seinen Namen rufen. „Die Menschen waren schwarz. Sie sprachen ein wundervolles Englisch. Wer waren sie bloß“, fragte sich Flynn.

Mitte der 1940er-Jahre war er mit der „Zaca“ an einem Ort angekommen, der sich gut als Kulisse in einem seiner Piraten-Filme geeignet hätte: Port Antonio, Portland, Jamaika, West-Indies. „Niemals zuvor hatte ich ein solch schönes Land gesehen“, beschrieb Errol Flynn seinen ersten Einruck. „Überall gibt es hier eine Schicht Grün, die so dick ist, dass man die Erde darunter nicht sehen kann.“ Flynn war von dem englischen Kolonialstädtchen Port Antonio und seiner malerischen Zwillingsbucht so angetan, dass er kurzerhand die der Stadt vorgelagerte Insel Navy Island aufkaufte. Port Antonio sollte der Ort sein, wo er sich zur Ruhe setzen wollte: „Nach 37 Jahren des Herumirrens hatte ich meine Götterinsel gefunden.“

Im Gefolge von Flynn kamen andere Filmstars und -sternchen. Flynn höchstpersönlich machte das „Rafting“ auf dem Rio Grande populär, und in den 1960er-Jahren erlebte die Region einen Boom. Dann begann allmählich der Verfall. Zu weit entfernt, zu schwer erreichbar war der Bezirk Portland von den Bettenburgen Montego Bays, wo die meisten Pauschaltouristen landen. Heute hat man in Port Antonio manchmal das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben, und die weiß getünchten, ummauerten Hotelanlagen östlich der Stadt strahlen einen unwirtlichen, morbiden Charme aus – wenn sie nicht schon geschlossen wurden.

Portland im Nordosten Jamaikas ist der vielleicht ruhigste und schönste Teil der kleinen Karibikinsel. Vor einem glitzert das türkise Meer, im Rücken liegen die wolkenverhangenen Blue Mountains. Wer hierher kommen will, und nicht in Kingston landet, muss eine strapaziöse Anreise von Montego Bay aus in Kauf nehmen, entweder in überfüllten Minibussen oder in einem gemieteten Wagen mit Fahrer. Während man in den Bussen, eingezwängt zwischen 15 Mitreisenden und beschallt mit den neuesten Dancehall-Hits, eine Erfahrung machen dürfte, die man nicht vergisst, kostet einen der Luxus, sich chauffieren zu lassen, rund 150 US-Dollar. Und obwohl ein wichtiger Teil der lange von der Regierung versprochenen Schnellstraße an der Nordküste mittlerweile fertig gestellt ist, dauert der Weg immer noch mehrere Stunden – über eine zum Teil mit fast so vielen Kurven wie Schlaglöchern gespickte Straße. Das „Pothole Filling Programme“ der Regierung zur Auffüllung der Schlaglöcher reiche nicht aus, beschwert sich mein Fahrer.

Wer sich trotzdem entscheidet, nach Portland am nördlichen Zipfel Jamaikas zu kommen, der wird mit einer üppigen Natur belohnt. Sie ist den majestätischen Blue Mountains geschuldet. Hier regnen sich regelmäßig die Wolken ab, die der Wind aus Osten hergetragen hat. Darum ist Portland eine der regenreichsten Regionen der Insel, und wer nur für wenige Tage zu Besuch kommt, kann Pech haben – und im Regen stehen, manchmal für Tage. Nicht jeder Kurzurlauber kann diesem grandiosen Spektakel, das einen die tropischen Naturgewalten spüren lässt, etwas abgewinnen.

Doch mittlerweile versucht man, den besonderen Charme dieser grünen Region als Chance zu begreifen. „Nachhaltiger Tourismus“ heißt das neue, vom jamaikanischen Tourismusministerium ausgegebene Zauberwort. Im Rahmen einer angestrebten Diversifizierung des touristischen Angebots entlang der Nordküste – nun „Riviera Jamaikas“ getauft – wurde Portland zugedacht, jene Touristen anzulocken, die mehr sehen möchten als nur den Strand einer All-Inclusive-Anlage.

„Wer an Jamaika denkt, denkt weniger an sanften Tourismus“, sagt Shireen Aga. „Wir wollen das ändern.“ Zusammen mit ihrer Partnerin Barbara Walker betreibt Aga seit 1993 das Mocking Bird Hill Hotel. Inzwischen wurde das kleine, traumhaft in den Bergen östlich von Port Antonio gelegene Haus mehrfach für seine ökologischen Standards ausgezeichnet. Der größte Teil des benutzten Wassers wird bei Regen aufgefangen, zum Reinigen wird UV-Licht statt Chlor benutzt. Und man hat auch eine eigene Abwasserentsorgung, in Jamaika eine Seltenheit.

Aga und Walker sind die treibenden Kräfte, bei den Bemühungen des Jamaikanischen Hotel- und Tourismusverbandes JHTH, Portland als Region für einen ebenso umwelt- wie sozialverträglichen Tourismus aufzuwerten. „Um mit ganz normalen Menschen in Kontakt zu kommen, empfehlen wir unseren Gästen zum Beispiel, die Kirchengemeinden zu besuchen“, sagt Shireen Aga. „Das wissen auch die Jamaikaner zu schätzen, und es geht eben auch um die Wertschätzung der Menschen, die hier leben.“ Aga träumt von einem Tourismus, welcher der ganzen „Community“ zugute kommt und nicht nur den häufig ausländischen Besitzern der großen Resorts. Um das zu erreichen, setzen Aga und Walker auf die „Green Globe“-Zertifizierung des gesamten Bezirks Portland. Einen wichtigen Schritt zur Erlangung dieses an den Agenda-21-Kriterien orientierten Prüfzeichens hat man im vergangenen Jahr getan, als Portland das Benchmarking einer unabhängigen Consultingfirma erfolgreich überstand.

Doch ob ein solch ökologisches Prüfzeichen ausreicht, um mehr ausländische Gäste zu einem Abstecher in den Nordosten Jamaikas zu bewegen, muss sich erst noch zeigen. Zurzeit liegt die Belegungsrate der Hotelbetten bei maximal 30 Prozent, räumt auch Aga ein. Dabei hat die Region ganz besondere Reize: Östlich von Port Antonio liegen einige der schönsten Strände der Insel, während das Hinterland zu Wanderungen einlädt. Wer will, kann im tiefen Blue Hole tauchen gehen oder vom Felsen der Reach Falls in die Tiefen von Süßwasserkaskaden springen. Man kann aber auch den Blue Mountain Peak erklimmen – kommt man am frühen Morgen am Gipfel an, hat man sogar die Chance, eine klare Sicht zu haben. Und vom Dorf Bath, bekannt für seine heißen Thermalquellen, führt ein Wanderweg vom Süden über die Blue Mountains bis nach Moore Town in Portland.

Dieser Ort ist ein Beispiel für die historische Bedeutung der Region: Moore Town war einst eine Siedlung von Sklaven, die von den Plantagen ihrer weißen Ausbeuter geflohen waren. Seit einem Vertrag aus dem Jahre 1739 genießen die „Maroons“ weitgehende Selbstbestimmungsrechte. Doch ihre Geschichte ist nicht widerspruchslos: Denn teilweise verdingten sich die Maroons, nachdem sie ihre eigene Freiheit erkämpften hatten, als Sklavenjäger für ihre alten Herren. Von den Irrungen und Wirrungen einer durch die Sklavenhaltergesellschaft geprägten Kultur zeugen auch viele der verwitterten Herrenhäuser, die sich die weißen Pflanzer in Port Antonio errichten ließen.

Ansonsten hat sich in der Region in den letzten Jahren nicht viel verändert, obwohl es hochtrabende Entwicklungspläne gibt. Zwar hat die staatliche Port-Authority-Behörde 14 Millionen US-Dollar in eine neue Marina investiert, doch mehr Segelboote kommen deshalb auch nicht. Die größeren Kreuzfahrtschiffe können erst gar nicht in den Hafen Port Antonios einlaufen, weil die Einfahrt zu schmal ist. Und der ehemalige Air-Jamaica-Chef Butch Stewart erwarb vor einigen Jahren die Hotelanlage in Dragon Bay. Und was tat er dann? Er ließ das Gelände mit Meerzugang schließen, um abzuwarten, ob mehr Touristen kommen oder nicht.

Währenddessen gibt es am Winnifred Beach Streit zwischen Anwohnern und der staatlichen Urban Development Corporation (UDC), die den Strand entwickeln will. Sollte das passieren, würde man auch an einem der letzten öffentlich frei zugänglichen Strände in der Umgebung Eintritt zahlen müssen – zu einem Preis, der für alle tragbar sei, ließ die UDC verlauten. „Doch es gibt viele Anwohner, für die jeder Eintritt, egal in welcher Höhe, zu viel wäre“, sagt Tamira Jones von der Portland Environmental Protection Association (Pepa). Diese lokale NGO hat sich die Förderung des Umweltbewusstseins in der Region auf die Fahnen geschrieben und unterstützt daher auch die Pläne zur Entwicklung des nachhaltigen Tourismus. Allerdings bleibt Tamira Jones skeptisch: „Es gibt viele Versprechungen, aber getan hat sich bisher wenig.“

Bis heute sind Port Antonio und sein Umland angenehm verschlafen geblieben, die Menschen liebenswürdig, ihr kreolisches Englisch betörend. Man kann sich hier gut vorstellen, in den endlosen Wiederholungen, den Kreisläufen der Natur, die das Leben in den Tropen mit sich bringt, alt zu werden. Vielleicht denkt man sich dann, ist es auch besser, wenn die Schnellstraße niemals in Portland ankommt.