Mindeststandards fehlen weiter
: KOMMENTAR VON DANIELA WEINGÄRTNER

In einem sind sich Kritiker von links und rechts einig: Die jetzige Fassung der Dienstleistungsrichtlinie schafft wenig Klarheit und wird in vielen Einzelfällen wie bislang schon vor Gericht enden. Das sieht Sahra Wagenknecht von der Linkspartei nicht anders als der Bundesverband der Industrie. Und die sozialistische Verhandlungsführerin im Europaparlament wirbt für das Ergebnis mit dem Argument, so werde gleichzeitig die Öffnung der Märkte ermöglicht und das europäische Sozialmodell garantiert.

Dieser Satz ist schon deshalb verkehrt, weil es kein europäisches Sozialmodell gibt. Genau am unterschiedlichen Niveau der sozialen Standards in den Mitgliedsländern entzündete sich doch der Streit um die so genannte Bolkestein-Richtlinie und das befürchtete Sozialdumping. Die Kommission hat mit ihrem ursprünglichen Entwurf darauf abgezielt, unterschiedliche Sozialmodelle dem Wettbewerb im Binnenmarkt auszusetzen. Das entspricht der Logik der derzeitigen EU und der neoliberalen Überzeugung, dass Wettbewerb das Geschäft belebt.

Die Antwort der europäischen Linken darauf hätte von Anfang an sein müssen, EU-weite soziale Mindeststandards als Voraussetzung für die Öffnung der Dienstleistungsmärkte zu verlangen. Stattdessen zogen sich die Liberalisierungsgegner in den sozial stark geschützten Staaten wie Frankreich in ihr Schrebergärtchen zurück und bauten den Zaun höher. In den neuen Mitgliedstaaten und in Irland, wo es wenig sozialen Schutz, aber wegen der hohen Wachstumsraten derzeit noch eine optimistische Stimmung gibt, lachte man über die ängstlichen Genossen und freute sich auf die künftigen Marktchancen.

Die Erfahrungen nach der Osterweiterung haben gezeigt, dass sich Konkurrenz von draußen nicht negativ auf Wachstum und Beschäftigung auswirken muss. Auch der Binnenmarkt für Dienstleistungen könnte zur Jobmaschine werden, wenn es soziale Mindeststandards für alle gäbe. Dazu hat allen Beteiligten der Mut gefehlt. Jobs werden mit der absehbaren Zustimmung des Europaparlaments nächste Woche dennoch geschaffen – für Juristen, die das unübersichtliche Paragrafenwerk nun interpretieren müssen.