Viel Wasser zu schauen

FLUT Auch in Brandenburg spitzt sich die Lage zu – Berliner Katastrophenforscher verteidigt „Gaffer“

Die derzeitige Flutkatastrophe hinterlässt in Ostdeutschland eine Schneise der Verwüstung. Besonders dramatisch entwickelte sich die Lage am Sonntag im Norden Sachsen-Anhalts, aber auch in Teilen Brandenburgs.

Da sich die Wassermassen weiter stromabwärts bewegen, spitzte sich die Lage an der Elbe im Nordwesten Brandenburgs dramatisch zu. In der Prignitz stiegen die Pegel binnen 24 Stunden um 60 Zentimeter. Viele Menschen in den südlichen Stadtteilen von Wittenberge wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Gerechnet wird inzwischen mit einer Zunahme der Wasserstände bis Dienstag.

Zur Entlastung sollten am Sonntagnachmittag die Havelpolder geflutet werden. Behindert wurde die Arbeit zwischenzeitlich von Schaulustigen, denen Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) einen Polizeieinsatz androhte. „Wir können dort niemanden brauchen, der da nicht hingehört“, betonte er und kündigte Polizeimaßnahmen an, sollten Gaffer nicht umgehend verschwinden.

Von „Gaffer“ dagegen will der Berliner Katastrophenforscher Martin Voss gar nicht sprechen. Er ruft dazu auf, in den sogenannten Katastrophentouristen auch mögliche Helfer zu sehen. „Binden Sie die Leute ein, denn eigentlich wollen die das“, sagte er in einem Interview mit dem Bremer Weser-Kurier: „Wir haben den Gaffer immer als Störquelle betrachtet, nicht als potenziellen Helfer. Aber ihn einzubinden ist besser, als ihn mit Strafen zu überziehen“, sagte der Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der Freien Universität Berlin.

Hinter der Schaulust steckten ein menschliches Interesse, Neugier und das Bedürfnis zu lernen, worauf man sich selbst einstellen müsse. „Als Trendentwicklung in der Breite haben wir das seit 20, 30 Jahren“, sagte Voss. Das hänge auch stark mit den Medien zusammen. „Katastrophen machen halt Quote.“ Heute schauten Gaffer viel länger hin und überschritten dabei auch Schamgrenzen. „Über die letzten Jahre haben wir da durch das Reality-Fernsehen einen Schub erlebt.“ Er habe aber auch Verständnis für Schaulust, sagte Voss. Es sei ein wichtiger Lernprozess für eine Gesellschaft, hinzusehen. EPD, DPA