Als die Kunst wie eine Erleuchtung über Mitte kam

AUGUSTSTRASSE In Mitte ausharren: Wo der Boom der Galerien in Berlin seinen Ausgangspunkt nahm, arbeiten einige Protagonisten weiter und erhalten Besuch von einer Horde Affen

Es brennt noch Licht in Mitte. Auch wenn sich die Konzentration auf die Potsdamer Straße als zurzeit lebendigstem Galerienviertel der Stadt während des Gallery Weekend mal wieder gezeigt hat. Doch das Karree zwischen August-, Linien- und Tucholskystraße sowie dem Sportplatz an der Kleinen Hamburger Straße bewahrt sich einen Reiz für Künstler und Kunsthändler, der nicht nur der Nostalgie geschuldet ist. Schließlich ging der Berliner Kunstboom einmal von hier aus, von den Kunst-Werken und den Galerien, die sich nach der Wiedervereinigung in der Spandauer Vorstadt angesiedelt hatten.

Gert Harry Lybke, genannt „Judy“, hat seinen Anspruch als lokaler Platzhirsch gerade wieder erneuert. Die verwinkelt engen Räume seiner Galerie Eigen + Art in der Auguststraße 26 ließ er kürzlich zum puristischen White Cube umbauen. Während seine Kollegen ständig umziehen, den bürgerlichen Charme der Beletage wiederentdecken oder weiterhin dem industriellen Charakter von Werkshallen huldigen, bleibt Lybke nicht nur dem alten Standort treu, sondern auch dem Prinzip, Kunst in den weißen Würfel zu stecken.

Carsten Nicolai ist hier mit seiner Arbeit „crt mgn“ ausgesprochen gut aufgehoben. Zwei Magneten schwingen an langen Pendeln über zwei mit dem Bildschirm nach oben liegende Fernseher, die auf den Videopionier Nam June Paik verweisen. Dazugehörige Kameras sind auf die Stirnwand gerichtet, an der vier parallele Leuchtstoffröhren an die Minimal Art von Dan Flavin erinnern. Die starken Dauermagneten verzerren jedoch das Abbild der strengen Neoninstallation zu einem flirrenden Tanz der Elektronenstrahlen, die der magnetischen Kraft, die über sie hinweggleitet, nichts entgegenzusetzen haben.

Eine zweite Galerie der ersten Stunde residiert in einem Backsteinhof an der Linienstraße 155: Neugerriemschneider. Dort breitet sich gerade Isa Genzken aus. Ihre Installation von Kinderpuppen unter Sonnenschirmen hatte sie 2007 in Münster präsentiert. Auf einem öffentlichen Kirchplatz war sie nicht nur wochenlang Wind und Wetter ausgesetzt, sondern auch dem Willen und Unwillen des Publikums. Entsprechend zerrüttet sieht sie auch aus: Die Schirme sind vom Licht ausgeblichen und vom Regen verschmutzt, manche Puppen haben kleine Geschenke bekommen oder sind beschädigt worden. Für Genzken hat die Arbeit dadurch eine neue Qualität erhalten – Grund genug, sie nun erstmals wieder öffentlich zu zeigen.

Das Quartier bietet aber auch immer noch Raum für kleinere Galerien und temporäre Projekte. Der indische Künstler N S Harsha lässt über das Gerüst des ehemals besetzten Kunsthauses KuLe in der Auguststraße 10 gerade Affen turnen. Doch mit ihren langen Marsupilami-Schwänzen haben sie sich unentwirrbar miteinander verknäuelt. Harsha ist momentan Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und interessiert sich für die Mikrokosmen unterschiedlicher Lebensbedingungen. In seinem Fassadenprojekt „Tamasha“ verarbeitet er die in seiner Heimat reale Affenplage mit dem deutschen Mythos vom Rattenkönig.

Die große Internationalität der Berliner Kunstszene steht auch im Mittelpunkt der Arbeit von DNA. Im Jahr 2001 gegründet, fokussiert die Auguststraßengalerie in der Nr. 20 besonders auf interdisziplinäre und multimediale Positionen und verkörpert damit heute noch den alten Geist der Neunziger, als die Kunst wie eine Erleuchtung über Mitte kam. In Videoprojektionen und Installationen setzt sich die bulgarische Künstlerin Mariana Vissileva substanziell mit dieser Kraft des Lichts auseinander. Über einen Bouleplatz in New York City flutet es in „Just a Game“ als artifizielle Reflexion der verspiegelten Bürotürme. Und in „Break In/Out: Breathing Light“ verweist es als mittlerweile von der EU geächtete Glühbirne im Drahtkäfig nur noch auf sich selbst: als eine der letzten Lichtquellen ihrer Art.

MARCUS WOELLER