Patron unter der Lupe

AUFARBEITUNG Die Bremer Rudolf Alexander Schröder Stiftung reagiert konstruktiv auf Kritik: Die Bedeutung ihres Namensgebers für die Nazis soll von einer unabhängigen Instanz überprüft werden

Warum interessierte sich niemand für Schröders Rolle im „Dritten Reich“?

Im Namen von Rudolf Alexander Schröder, dem Dichter, Übersetzer und Mitbegründer des legendären Insel-Verlags, wurde am Dienstag der Bremer Literaturpreis an den österreichischen Schriftsteller Clemens J. Setz verliehen. Wie immer, seit der Bremer Senat die Auszeichnung 1953 stiftete, wurde die Zeremonie feierlich im Rathaus vollzogen. Doch erstmals seit ihrer Gründung ging die den Preis vergebende Schröder Stiftung vorsichtig auf Distanz zu ihrem Namenspatron. In einer Pressemitteilung gab sie bekannt: „Nach der Berichterstattung über eine möglicherweise ambivalente Haltung“ Schröders während der Nazizeit wolle man jedem Hinweis „mit aller Sorgfalt“ nachgehen.

Im Dritten Reich spielten Schröders Gedichte eine exponierte Rolle. Sein „Deutscher Schwur“ beispielsweise avancierte, obwohl bereits 1914 entstanden, zu einer zentralen Hymne von HJ und SA. Und gegen die Behauptung, Schröder habe sich 1935 in die „Innere Emigration“ und den Schoß der Bekennenden Kirche in Bayern zurückgezogen, steht die außergewöhnliche Würdigung Schröders zu dessen 60. Geburtstag im Bremer Rathaus. Um Schröder zu ehren, stiftete der damalige NS-Senat die noch heute verliehene „Medaille für Kunst und Wissenschaft“.

Angesichts des Renommees des Preises, der durch TrägerInnen wie Ingeborg Bachmann, Siegfried Lenz und Elfriede Jelinek geadelt ist, müsse man die Vorwürfe „ernst“ nehmen, erklären Stiftung und Senat nun. Bremens Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) betonte in der Tischrede beim großen Preisträger-Essen ihre „Entschiedenheit“, gegebenenfalls „geeignete Schritte“ einzuleiten. Wie diese konkret aussehen sollen, konnte ihr Sprecher angesichts der Kürze der Zeit noch nicht sagen. Denkbar seien ein Forschungsauftrag oder die Einsetzung einer unabhängigen Kommission. Über die „geeignete Form“ der Vergangenheitsbearbeitung müssten sich nun Stiftung und Senat gemeinsam verständigen.

Für Bremen geht es dabei um viel: Das künstlerische Multitalent Schröder, der auch Innenarchitekt der berühmten Lloyd-Luxusliner und Kirchenlieddichter war, ist Ehrenbürger der Stadt und gilt als der Musensohn des Bremer Bürgertums. Insbesondere ist er der einzige literarische Spross der Stadt, der es zu überregionalem Renommee brachte – 1955 / 56 galt er sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis. Nicht umsonst betonte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) bei der Verleihungszeremonie, die traditionell an Schröders Geburtstag abgehalten wird: „Mit dem Preis gelingt es uns der Legende entgegenzutreten, Bremen sei eine amusische Stadt der Pfeffersäcke.“

Inwieweit der vermeintlich apolitische Dichter künftig als Kronzeuge der künstlerischen Potenz der Hansestadt taugen wird, bleibt abzuwarten. Wobei es de facto weniger um die „Haltung“ Schröders im NS-Staat geht, die Senat und Stiftung jetzt untersuchen wollen, als um Schröders dortige Rolle – diesen feinen Unterschied muss man schon machen, will man der Komplexität der damaligen Gemengelage gerecht werden. Denn obgleich aus zahlreichen privaten Briefen zitiert werden könnte, die Schröders wachsende Distanz zum Dritten Reich belegen, dienten seine Texte weiterhin in großem Umfang der ideologischen Stärkung der Volksgenossen: Keine einschlägige Liedersammlung kam ohne Schröders „Das Banner fliegt“ aus, im HJ-Morgenritual waren seine Worte unverzichtbar.

Noch weiter führt ohnehin die Frage, warum sich in einer sozialdemokratisch geprägten Stadt wie Bremen jahrzehntelang niemand dafür interessiert hat, dass ihr Ehrenbürger eine wesentliche Rolle in Nazi-Deutschland spielte. Auch die Amtsträger, die als HJ-Pimpfe und Schüler mit Schröders nationalistischen Lesebuchtexten traktiert worden waren, hatten offenbar kein Problem mit dem späteren Literaturpreis-Patron. HENNING BLEYL