Abstürze auf Speed

SCHRIFTSTELLERIN Dorota Maslowska ist eine der interessantesten Vertreterinnen der polnischen Gegenwartsliteratur. In der Öffentlichkeit äußert sich die 27-Jährige nur selten. Heute Abend gastiert die Autorin an der Volksbühne

Maslowskas Sprache gelingt es, den unendlichen Gedankenstrom des Hier und Jetzt zu bannen

VON ANDREAS RESCH

Kommt sie noch oder kommt sie nicht mehr? Nach einer Dreiviertelstunde vergeblichen Wartens dann die Gewissheit: Dorota Maslowska, das Wunderkind der polnischen Gegenwartsliteratur, wird heute nicht mehr erscheinen. Eigentlich hätte man es ja ahnen können: Immer wieder hatte sich der Gesprächstermin verschoben, immer wieder hat die Autorin in der Vergangenheit ihren Unmut, Interviews zu geben, öffentlich geäußert. Immer wieder taucht Dorota Maslowska, wie ich von Leuten erfahren habe, die sie näher kennen, für eine Weile ab, verschwindet dann völlig von der Bildfläche, ist für niemanden mehr zu erreichen. So wie jetzt.

Wer ist dieser Mensch Dorota Maslowska? Keine Ahnung, ich werde es wohl nie erfahren. Macht aber auch nichts, denn die Autorin Dorota Maslowska ist allemal spannend genug. Die tauchte vor etwas mehr als sieben Jahren am Firmament der polnischen Gegenwartsliteratur auf. Ihr Romandebüt, das auf Deutsch den etwas unglücklichen Titel „Schneeweiß und Russenrot“ trägt – wörtlich übersetzt heißt er so viel wie „Polnisch-russischer Krieg unter weiß-rotem Banner“ –, wurde 2002 in ihrem Heimatland zum absoluten Bestseller. Es wurde anschließend in dreizehn Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen überhäuft. Da war Dorota Maslowska gerade mal achtzehn Jahre alt.

Der Roman handelt – wobei er eigentlich viel zu sehr reine poetisierte Sprache ist, um wirklich von etwas handeln zu können – von einem jungen Mann, genannt „Der Starke“, der völlig auf Speed einen Absturz nach dem anderen erlebt: Im Verlauf von knapp 240 Seiten wird er von einer Frau, Magda, verlassen, er verliert seinen Hund, ruiniert das Sofa seiner Mutter und driftet währenddessen immer weiter in einen delirierenden Wahn ab. Was sich mitunter so liest: „Ich sehe haufenweise Sand, für mein Dafürhalten die reinste unökonomische Verschwendung, was mich, muss ich mit Bedauern feststellen, absolut stinkig macht. Böse Krätze Stinkwut. Und als ich unterwegs eine Plastiktüte finde, schütte ich ohne einen Hauch des Zögerns Sand hinein.“

Was einem in diesem Buch an geballter Misogynie, an Krankheit, Hass, Chauvinismus und Brutalität entgegenschlägt, sucht seinesgleichen. Gleichzeitig ist das Buch – und dass dem so ist, liegt an dieser unfasslichen Sprachgewalt – zart, poetisch, bewegend. Es ist eine Sprache, der es gelingt, diesen unendlichen, nie versiegen wollenden Gedankenstrom des Hier und Jetzt zu bannen. Von der Kritik wurde der Roman mit Irvine Welshs „Trainspotting“ verglichen. Gleichzeitig drängen sich Vergleiche mit Hubert Selby auf, mit Filmen wie Darren Aronofskys „Requiem for a Dream“, an dessen Drehbuch Selby ja mitgeschrieben hat. Aber auch, und darin in der Tradition des Komisch-Absurden stehend, mit Büchern wie „Der Tag des Opritschniks“ von Vladimir Sorokin oder Juri Andruchowytschs „Moscoviada“.

Im Jahr 2004 ist Dorota Maslowska Mutter einer Tochter geworden, mit der sie in Warschau lebt. Im darauffolgenden Jahr publizierte sie ihren zweiten Roman „Die Reiherkönigin“, der in gereimter Sprache – darin einem Rap ähnelnd – und kurzen Episoden von mehr oder minder sympathischen Verlierergestalten im heutigen Polen erzählt. Auch wenn das alles nicht mehr ganz so gut funktioniert wie in ihrem Erstling: Dorota Maslowska gelingt es auch hier, etwas genuin Eigenes zu schaffen, eine Welle aus sich immer höher auftürmenden Wortkaskaden, die sich über den Leser ergießt: „Sie betete, dass irgendwas geschehen möge, doch dröge verging nur der Tage eintöniger Trott, oder wie Platon sagt: ‚Let nurse give you a shot.‘ Der Farbton änderte von Grau zu Grau sich nur, doch jeder war gleich, es blieb von der Zeit keine Spur“, heißt es in jener Story über die Frau, die sich auf der Flucht vor sexueller Demütigung vor eine Bahn stürzt.

In den letzten Jahren hat sich Dorota Maslowska vermehrt dem Schreiben von Theaterstücken zugewandt. Ihr erstes trägt den Titel „Zwei arme, Polnisch sprechende Rumänen“, ihr zweites „Wir kommen gut klar mit uns“ wurde 2009 in Berlin uraufgeführt. In Berlin hat Dorota Maslowska auch im vergangenen Jahr als DAAD-Stipendiatin ein paar Monate verbracht. Jetzt kehrt sie zurück: Heute Abend präsentiert Dorota Maslowska an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ihr künstlerisches Schaffen, ihre Prosa, Theaterstücke, sogar ihre Lieblingsmusik. Falls sie es sich im letzten Moment nicht doch noch anders überlegen sollte.

■ Dorota Maslowska: „Ich kann Wörter zu Torten schichten.“ Heute Abend um 20 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Eintritt: 8 Euro