Unschöne Bescherung

Das Umtauschen ungeliebter Geschenke nach Weihnachten nimmt inzwischen die Formen einer kleinen Industrie an. Gehören tut es sich trotzdem nicht, denn das Ritual selbst ist wichtig

VON MARTIN REICHERT

Mag sein, dass seit Adorno nicht mehr geschenkt werden darf, weil laut ihm der Geschenkartikel an sich ein zum Ding gewordener tautologischer Blödsinn geworden ist. Dennoch hat sich, um es soziologisch zu fassen, das Schenken als ein Typus sozialen Handelns erhalten, der in Interaktion, also einem sich gegenseitig beeinflussenden, wechselseitig aufeinander gerichteten, sinnhaft intermittierenden, also „Zeichen austauschenden“ System realisiert wird. Zu Deutsch: Es ist nicht gut, respektlos mit Geschenken umzugehen, weil sich der Schenkende im Zweifelsfall etwas dabei gedacht hat.

Hatte man sich während der Siebziger- und Achtzigerjahre aus konsumkritischen Gründen von weihnachtlichen Geschenken distanziert, so wurden sie in den ironiegesättigten Neunzigerjahren zu einem Gegenstand spielerischen Treibens. Noch heute gibt es in den Metropolen Weihnachtspartys, in deren Verlauf direkt im Anschluss an die Bescherung Geschenke umgetauscht werden können. Seien es die berühmten selbst gestrickten Socken von Tante Frieda oder der notorische Schlips von der Schwiegermutter.

Einfach verkaufen?

Der Internet-Ramschladen Ebay fragte auf seiner Website schon vor dem Fest: „Schon wieder eine Krawatte, einen Pyjama und Socken bekommen?“ und hatte die Antwort auch bereits parat: „Einfach wieder verkaufen!“. Die Fußgängerzonen und City-Parkhäuser platzen alljährlich am ersten verkaufsoffenen Tag nach dem Fest aus allen Nähten, weil alles, was das Christkind gebracht hat, möglichst schnell umgetauscht wird, die Kaffeemaschine eine falsche Farbe hatte oder die DVD einen falschen Inhalt.

Besonders perfide: Schrottwichteln mit Weihnachtsgeschenken. Dabei verschenkt man in größerer Runde hübsch eingepackte Gegenstände und hofft, etwas Besseres zurückzubekommen. Dabei ist es Pflicht zu zeigen, dass man sich über sein Geschenk freut, auch wenn es absolut garstig ist – verteilt wird der auf einen Haufen gepackte „Schrott“ über ein ausgeklügeltes Würfelsystem.

Agnes Jarosch, Chefredakteurin der Zeitschrift Stil & Etikette, kann da nur warnen: „Es gibt zwar keine festen Regeln, aber ein Geschenk ist immerhin eine freiwillige Gabe. Wenn ich das Geschenk ablehne, lehne ich auch den Schenkenden ab.“ Sie empfiehlt also, auf jeden Fall ein Angebot des Schenkenden abzuwarten, falls dieser dazu auffordert, das Geschenk nötigenfalls umzutauschen: „So befindet man sich auf der sicheren Seite.“

Höflichkeit ist eine Zier – weiter kommt man ohne ihr. Und dennoch: Der neobürgerliche Zeitgeist verheißt ein Ende der Post-Geschenke-Attitüde. Nachdem im letzten Jahr eine rezessionsbedingte Geschenkeblockade das Weihnachtsfest unterminiert hatte, hagelte es heuer Flat-Screens und Digitalkameras. Man schenkte wieder und meinte es ernst – Weihnachten, das Fest der Familie, der seriösen Bindungen und Verpflichtungen, denen man gerne nachzukommen bereit ist.

Wenn auch nicht immer aus Gründen der reinsten Selbstlosigkeit. Sagte doch eine junge Frau in der Berliner U-Bahn kurz vor Weihnachten, mit Tüten voll bepackt: „Du meine Güte, was man hier alles investiert, das bekommt man doch niemals im gleichen Gegenwert zurück.“ Frohe Weihnachten und eine gute Bilanz 2006!

Socken von Tante Frieda

Nein, die Socken von Tante Frieda mögen bei Ebay nicht viel einbringen, aber vielleicht hat sie sie mit viel Liebe gestrickt, bei jeder neuen Masche an den Empfänger gedacht? Und was, wenn sich die Schwiegermutter wegen der Krawatte die Hacken wund gelaufen hat, und das trotz des Wassers in ihren Beinen? Das Schenken kann eine sehr ernsthafte und auch herzerwärmende Angelegenheit sein, wenn man sich nur darauf einlässt.

Ist also endgültig Schluss mit lustig? Agnes Jarausch hat Trost parat, wenigstens für eingefleischte Harald-Schmidt-Fans: „Es kommt ganz einfach auf den Kontext an. Im Freundeskreis kann man immer noch locker mit dem Schenken umgehen. Aber nur, wenn man darauf achtet, dass niemand verletzt wird.“

Schon der französische Ethnologe Marcel Mauss, Verfasser des schwergewichtigen „Essai sur le don“ (Die Gabe), hatte einst geschrieben: „Die Gabe ist immer noch verletzend für den, der sie empfängt“ – es handelt sich um eine „totale gesellschaftliche Tätigkeit“ inklusive wechselseitiger Verpflichtung von Schenkendem und Beschenktem.

Vom zivilisatorischen Standpunkt aus betrachtet müssen Geschenke also ganz einfach ausgehalten werden. Und eine Schublade findet sich immer.