Der Ton verschärft sich

AUSSTELLUNG In „Verbotene Kunst“ im Projektraum uqbar zeigen die russischen Künstler Wiktoria Lomasko und Anton Nikolajew Protokolle und Zeichnungen aus dem Gericht – und setzen sich so mit der Unfreiheit der Kunst in ihrem Land auseinander

Schon mal etwas von freien Randalierern und orthodoxen Aktivisten gehört? In Moskau füllen sie neuerdings die Publikumsreihen, wenn die Kunst vor Gericht steht. Sympathisanten der konservativen Organisation „Volkskirche“, Rekruten der paramilitärischen „Russischen Nationalen Einheit“, Mitglieder der rechtsradikalen „Vereinigung orthodoxer Bannerträger“. Nicht erst die Gerichtsverhandlungen gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina von Pussy Riot wurden als Schauprozesse inszeniert, in denen Störer aus dem Publikum und beeinflusste Zeugen eine große Rolle spielten.

Schon seit mehreren Jahren sehen sich Künstler, die sich kritisch mit religiösen Fragen auseinandersetzen, zunehmend in Konflikt mit der Gerichtsbarkeit ausgesetzt – obwohl in Russland offiziell keine Zensur stattfindet. Wiktoria Lomasko und Anton Nikolajew, zwei Kunstaktivisten aus Moskau, befürchten die Wiedereinführung der Zensur und die Erstarkung faschistischer Organisationen in Russland. Ausgerechnet die Religion – während der Sowjetzeit war Atheismus jahrzehntelang Staatsräson – werde dafür als Vehikel benutzt, Kunst als blasphemisch zu diffamieren und Künstler wie Ausstellungsmacher einzuschüchtern und zu verurteilen. Eine Ausstellung im Projektraum uqbar zeigt nun, wie Lomasko und Nikolajew versuchen, diesen Infiltrationstendenzen auf die Rechtsprechung Öffentlichkeit zu verschaffen.

Zwischen den Kulissen

Wie in den meisten Staaten ist das Fotografieren während einer Gerichtsverhandlung auch in Russland nicht erlaubt. Wohl aber das Zeichnen. Lomasko schleuste sich zu Prozessen, um zu dokumentieren, was zwischen Richterstuhl und Anklagebank, zwischen den Kulissen von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und den aufgebrachten Zuschauern vor sich geht.

Noch aufschlussreicher als die Zeichnungen von den Verhandlungen über die drei Aktivistinnen von Pussy Riot, die mit zwei Verurteilungen über zwei Jahre Straflager und einem Freispruch endeten, ist Lomaskos Dokumentation „Verbotene Kunst“, die als ausführlich und mit biografischen Hinweisen auf die Protagonisten kommentierte Graphic Novel erschienen ist. 2009 landeten der Kunsthistoriker und Kurator Andrej Jerofejew und der Bürgerrechtler und ehemalige Direktor des Sacharow-Museums, Juri Samodurow, vor Gericht, weil sie mit der gleichnamigen Ausstellung angeblich religiöse Feindschaft schüren wollten. Ihr Ziel war es jedoch, darauf aufmerksam zu machen, dass es an Museen und in Galerien unter dem Deckmantel der Religion zur Praxis geworden war, politisch und gesellschaftlich kritische Kunstwerke auszusondern. Als Appell gegen solche Formen der Selbstzensur organisierten sie eine Ausstellung dieser entfernten Arbeiten.

Realismus und Karikatur

Vor Gericht protokollierte Nikolajew nun über Wochen das Prozessgeschehen, und Lomasko zeichnete Szenen. Dabei pflegen sie einen realistischen, auch karikierenden Stil. Das traditionelle Mittel der Gerichtsreportage fokussieren sie nicht nur auf den juristischen Schlagabtausch, sondern auch auf entscheidende Details am Rande: wie Zeugen der Anklage Spickzettel zugesteckt werden, damit sie im Sinne der Staatsanwaltschaft antworten; wie religiös eifernde Mütterchen die Anhörungen in orthodoxe Laiengottesdienste verwandeln; wie die Richterin mit Ahnungs- und Taktlosigkeiten überrascht.

Während vor den Gerichtsgebäuden Aktionsgruppen für die Freiheit der Kunst demonstrierten, führten ihre Gegner im Saal Performances des demokratischen Niedergangs auf. Jerofejew und Samodurow wurden zu Geldstrafen verurteilt, Tolokonnikowa und Aljochina von Pussy Riot ins Straflager geschickt. Aber der Ton verschärft sich. Und wenn die Aktivisten aufgeben, stehen die Zeichen schlecht in Russland. Nicht nur für die Kunst. MARCUS WOELLER

■ Wiktoria Lomasko und Anton Nikolajew, „Verbotene Kunst“. Bis 14. April 2013, Fr. 14–19 Uhr und nach Vereinbarung, Projektraum uqbar, Schwedenstr. 16, Berlin-Mitte, www.projectspace.uqbar-ev.de. ■ Die Gerichtsreportage „Verbotene Kunst. Eine Moskauer Ausstellung“ ist im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschienen, 19,90 Euro