WALTRAUD SCHWAB LEKTIONEN
: Moschus, Toastbrot und Teer im Abgang – Weinprobenpoesie

Lernen zu genießen: Eine Abstinenzlerin macht eine Weinprobe. Mit Muskateller, mit Solaris, mit Regent …

Ja, ich trinke nicht, hab nie getrunken. Von mir aus kann Alkohol verboten werden. „Prohibitionistin!“ Ja und? „Spaßbremse!“ Ha, Spaßbremse!

Klar, dass diese Lektion, eine Weinprobe, von allen goutiert wird: von Freundinnen, Kollegen, ja auch von meiner Tante. „Drinksch ä Gläsli?“ fragt sie. „Nei dankscheen.“ Sie wohnt am Tuniberg. Da komme ich her. Weinkenner lecken die Lippen.

Eine Weinprobe also. „Das machen wir jetzt mal richtig“, sagt meine Freiburger Freundin, als sie es hört. Ich hab nie verstanden, was das sein soll, wenn sie ihre Nase in ein Glas Rotwein steckt, stoßartig einatmet, „Brombeer“ sagt, oder „Rosmarin“ „Tabak im Abgang“. Sie bewirtschaftet die Reben ihres Vaters am Tuniberg. Mit einem Buch in der Hand setzt sie sich neben mich. „Degustation“ steht im Titel. So geht’s: Erst sehen. Dann riechen. Dann schmecken.

Die Lernstunde spielt an ihrem Wohnzimmertisch, auf dem Walnüsse liegen. Drumrum sitzen Nachbarn, Nachbarinnen, die sie knacken, damit sie zur Ölmühle gebracht werden können. Neben den Reben hat meine Freundin auch den Garten ihres Vaters mit den Obstbäumen behalten. Zu den Nüssen gibt es Butterbrot, Käse und Wein.

Zur Sache, Schätzchen

Jemand schenkt mir einen Fingerhut Silvaner ins Glas. Er wird geschwenkt, gerochen, „er riecht wie Wein“, sage ich. „Für den Anfang ganz gut“, sagt der Mann neben mir. Biologe ist er, arbeitet beim Regierungspräsidium. Und dann noch mal von vorn: Die Farbe: „gelbgrün“, der Geruch: „fruchtig“, der erste Eindruck: „gefällig“, der Geschmack „unauffällig“, der Abgang „kurz“. „Eine Steigerung“, sagt der Biologe, und jemand gibt Anekdoten zum Besten von einem Wein, der im Abgang wie Wachs geschmeckt habe. Andere übertrumpfen das noch mit Toastbrot, Moschus und Teer.

Danach gibt es einen Roten. Die Freundin hält das Glas gegen weißes Papier, und siehe da, am Rand schimmert der Wein in rötlichem Braun. „Also schon älter“, sagt sie. Der alte Wein ist das Prélude, danach soll ich ihren eigenen probieren. „Oberrimsinger Franziskaner“, heißt er. „Du wirst keinen finden, der so nach Schwarzkirschen riecht.“ Ich stecke die Nase ins Glas. Schwarzkirschen? Es dauert einen Moment, aber plötzlich sehe ich uns frühsommerlang auf den Kirschbäumen ihres Vaters hocken. Der Geschmack indes: „männlich“. „Nicht schlecht“, sagt der Biologe.

Meine Freundin gibt nicht auf. Sie kennt meine Schwäche für Obst. Sie nimmt den Muskateller vom Winzer, der ihren Wein ausbaut. Bei Muskatellertrauben werde ich schwach. Ich stecke meine Nase ins Glas und bin verloren. Selbst der cremige Geschmack im Mund ist wohlgefällig. Ich nehme einen zweiten Schluck, einen dritten. An der Stelle eine Anmerkung: Ich vertrage nichts. Wahrscheinlich endet der Abend deshalb damit, dass ich meine Gastgeber überrede, „House of the rising sun“ aufzulegen – im Repeat-Modus. Kenner wissen: In dem Haus stranden Gestrauchelte.

Tags darauf schleppt mich meine Freundin zur Weinprobe ins Staatliche Weinbauinstitut in Freiburg. Da werden wir durch Reben und Keller geführt, mit Sekt versorgt, mit Weißwein, mit Rotwein. Ich, ganz auf Muskateller geeicht, gehe hart mit dem Zeug ins Gericht und schütte es in den Abguss. Dann aber schenkt man noch eine Beerenauslese ein. Leicht, goldgelb und voll. Meine Nase läuft Amok. „Honigmelonen“, rufe ich – und die Schlucke, wie Nektar. Er soll nicht aufhören zu fließen. Meine Freundin merkt es und lässt mich ihr Glas auch noch leeren.

Die Autorin ist sonntaz-Redakteurin auf lebenslanger Lernmission. Foto: Isabel Lott