Liberalisierung von Diensten rückt näher

Der umstrittene Entwurf zur EU-Dienstleistungsrichtlinie bleibt im Großen und Ganzen, wie er ist. Auch das Herkunftslandprinzip soll kommen – mit Ausnahmen. Kritiker befürchten niedrigere Sozial- und Ökostandards und sehen hohen Beratungsbedarf

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die Vorentscheidung ist gefallen. Wenn es nach dem Binnenmarktausschuss der Europaparlaments geht, wird die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie der EU das so genannte Herkunftslandprinzip enthalten. Allerdings in leicht abgeschwächter Form. Am Dienstagabend stimmte eine deutliche Mehrheit der Ausschussmitglieder dafür, dass Dienstleister, die in einem anderen EU-Land tätig sind, sich an die Regeln und gesetzlichen Vorschriften ihrer Heimatländer halten müssen – und nicht an die möglicherweise strengeren in dem anderen Land.

Wie das konkret aussehen kann, verdeutlichte der fränkische CSU-Abgeordnete Joachim Würmeling: Ein polnischer Fliesenleger dürfte danach auf einer Baustelle in Berlin einen Fliesenkleber verwenden, der in Polen zugelassen ist – auch wenn er in Deutschland auf der Verbotsliste steht. Abhilfe schaffen könnten hier nur gemeinsame EU-Umweltstandards, die aber derzeit nicht zur Debatte stehen.

Allerdings enthält der jetzige Entwurf für die Richtlinie, die die Dienstleistungen innerhalb der EU liberalisieren soll, eine Reihe von Ausnahmen. Jedes Land kann vom Herkunftsprinzip abweichen. Dazu muss es im Einzelfall begründen, dass Umwelt, Gesundheit oder öffentliche Sicherheit in Gefahr sind. Bis ein solcher Antrag die Bürokratie durchlaufen hat, sind die Fliesen aber vermutlich längst an der Wand und der Arbeiter ist entschwunden. Umwelt- und gesundheitsbewusste Verbraucher sind also gut beraten, vorher mit ihrem Handwerker zu klären, welche Baustoffe er verwendet.

Bei Finanzdienstleistungen könnte sogar der Gang zu einer der Verbraucherschutzorganisationen angebracht sein. Welcher Laie kann schon beurteilen, ob das konkurrenzlos günstige Angebot einer spanischen Lebensversicherung oder eines britischen Pensionsfonds ein Schnäppchen ist oder den Käufer ruinieren wird? Die sozialdemokratische Berichterstatterin Evelyne Gebhardt wollte diesen Bereich deshalb ebenso wie Dienste der kommunalen Selbstverwaltung oder private Sicherheitsdienste lieber aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen haben. Britische Pensionsfonds beispielsweise würden ähnlich wie US-amerikanische deutlich weniger Schutzklauseln für Verbraucher enthalten als deutsche. „In den USA sieht man dann Rentner, die bis 75 arbeiten müssen, weil Spekulationen an der Börse ihre Ersparnisse vernichtet haben.“ Die baden-württembergische Abgeordnete enthielt sich bei der Schlussabstimmung, weil sich die Änderungen am Ende zu weit von ihrem ursprünglichen Entwurf entfernt hatten.

Ihr CSU-Kollege Würmeling war mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Nun könne sich kein Land mehr mit Schikane-Vorschriften gegen ausländische Konkurrenz abschotten. Dennoch rechnet er „mit einer Welle der Entrüstung“. Die wird ihn in Berlin erreichen, denn Würmeling geht als Staatssekretär ins neue Wirtschaftsministerium.

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