Nicht von dieser Welt

SPACED OUT Eine Oper in lupenreinem Klingonisch, Jazzmusiker in Street-Bonbonpapierkostümen und Jammen mit der Drossel: Von Menschen imaginierte „Unmenschliche Musik“ gibt es am Wochenende im HKW

Im Rahmen des Anthropozän-Projekts im Haus der Kulturen der Welt, wirft ein neues Festival den Blick über das Menschenzeitalter hinaus: „Unmenschliche Musik“, kuratiert von Detlef Diederichsen und Holger Schulze, widmet sich der Frage, ob Musik nur von Menschen geschaffen werden kann und inwiefern sich Kompositionen von Maschinen, Tieren und Zufällen von den Werken der großen Meister unterscheidet.

■ Unmenschliche Musik: HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 21.–24. 2., 8–18 €. Programm: www.hkw.de

VON JENNI ZYLKA

Klingonen sind furchtlose KriegerInnen mit dicken Stirnwülsten. Niemals würden sie einen anständigen „may`“ (klingonisch für Kampf) oder einen Humpen klingonischen Blutwein verschmähen. Bekanntlich haben sie sich nach jahrzehntelangem Kampf gegen die Sternenflotte mehr oder minder mit ihr verbündet, es gibt sogar klingonisch-menschliche oder klingonisch-betazoide Liebesbeziehungen, die, wenn man den „StarTrek“-Nachfolgeserien „The Next Generation“ und „Raumschiff Voyager“ Glauben schenkt, genauso stressig sind wie rein menschliche Paarprobleme.

Traditionen sind für KlingonInnen Pflicht. Dass ausgerechnet auf der Erde (und damit sozusagen im Exil) zum ersten Mal eine Klingonenoper aufgeführt wird, ist ein Glücksfall für Trekkies. Aber auch für jene, die Erwachsene in bescheuerten Kostümen, die sich mit einem ausgedachten Fingerspreizsymbol grüßen, zu Recht als Nerds einordnen (gilt für Furries, Comicfans und weitere ConventionsgängerInnen ebenfalls). Denn der Spaß an einer in lupenreinem Klingonisch vorgetragenen Klingonenoper geht viel weiter als der schnöde Fanatismus für eine alte TV-Serie: Die Überlegung, wie es sich anhören könnte, wenn Nichtmenschen nach ihren eigenen musikalischen/strukturellen Regeln Kultur/Unterhaltung produzieren, ist extrem spannend.

Extraterrestrische Sounds

„Unmenschliche Musik“ heißt das Festival im Haus der Kulturen der Welt, das unter der Kuration von Detlef Diedrichsen versucht, extraterrestrische und inhumane Sounds zu erforschen. Außer der genannten Oper „u“, deren Erfinder ein holländisches Theater zusammen mit dem Autor des „Offiziellen Klingonisch-Deutschen Wörterbuchs“ ist und die sich rein bildlich mit einigen Schwergewichten recht walkürenhaft anlässt, gibt es Musik von Robotern, die zum Beispiel „Sir Elton Junk“ genannt und als „Mischung aus Zentaur und Einkaufswagen“ beschrieben werden, zudem ein Konzert mit dem Sounddesigner des Sony-Roboterhundes Aibo, den in Japan jede Menge Menschen aus Platz- und Geruchsgründen der echten, kläffenden Presswurst vorziehen, und Musik von Vögeln, Walen und Grillen.

Klarinette und Schnabel

Denn ausgerechnet das für Laienohren eher eintönige Getschilpe einer Drossel habe ihn, so behauptet der Jazzmusiker und Philosoph David Rothenberg, auf dessen Konzert „Bird, whale, bug: Music from nature“ am Samstagnachmittag animalisch gejammt wird, einst strukturell an ein Miles-Davis-Solo erinnert. Der in New Jersey als Professor lehrende Rothenberg hat ein Buch über seine Theorien geschrieben, in „Why birds sing“ erzählt er von wilden Improvisationen mit Klarinette und Schnabel. Warum auch nicht: Musik ist emotionales Erleben, also quasi für jedes Wesen mit einigen Basis-Sinnen und -Gefühlen erlebbar. Und mindestens so lustig wie die todernst gemeinten Bücher über malende Katzen und Elefanten aus den 80ern sind die Käferkonzerte bestimmt.

Jazz vom Saturn

Zwar eigentlich britischen Ursprungs, dennoch suffizient spaced out ist die zum Abschluss auftretende Band des ehemaligen The-Specials-Mastermind Jerry Dammers, der sich nach der Auflösung der besten Skaband der Welt anderem widmete: Als ausgesprochener Sun-Ra-Fan spielte er mit dem Spatial A.K.A Orchestra erstmals 2006 einen Gig in London, in voller Sun-Ra-Ägypter-Montur, und mit dementsprechenden Songs: „Ghost Planet“ (statt dem Specials-Hit „Ghost Town“). Der 1993 verstorbene Cosmic Jazzmusiker Sun Ra, der nach eigenen Angaben (und engegen denen seiner Mutter) vom Planeten Saturn stammte, war weiland mit einem fantastischen Mix aus Weltraumthemen, experimentellem Jazz/Swing und unglaublichen Kostümen um die Welt gezogen, immer auf der Suche nach dem Raumschiff, das ihn wieder zurück zum Heimatplaneten brachte. Und wer sein „Arkestra“ je live gesehen hat, dem wird die Erinnerung an stolze, alte Musiker in Quality-Street-Bonbonpapierkostümen und mit bunten Klopapierhäkelhüten auf den Dreads noch immer ein Lächeln aufs Gesicht zaubern: Wenn Dammers diese musikalische Stimmung auch nur in Ansätzen hinbekommt, lohnt sich das Konzert allemal.