„Er hatte den Vatikan nicht im Griff“

KLERUS Die Kirche könnte der letzte Global Player gegen Ökonomisierung und Ausbeutung sein, sagt Christian Weisner von der Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Doch ohne einen neuen Kurs habe sie keine Zukunft

■ 61, Stadtplaner, Sprecher der Bewegung „Wir sind Kirche“, die eine Demokratisierung der katholischen Kirche fordert.

INTERVIEW STEFFI DOBMEIER

taz: Benedikt XVI. ist zurückgetreten – macht ihn das zu einem modernen Papst?

Christian Weisner: Es ist sicher ein historischer und verantwortungsbewusster Schritt. Das Eingeständnis, das Schiff Kirche – wobei das eher ein Riesentanker ist – nicht mehr kraftvoll führen zu können, ist ihm durchaus anzurechen. Modern ist und war er deshalb noch lange nicht. Doch ein Rücktritt birgt Chancen – zeigt aber auch die Grenzen des Papstamtes.

Welche Grenzen?

Die katholische Kirche ist auf diese eine Person an der Spitze fixiert. Die ganze Verantwortung lastet auf den Schultern eines Menschen. Da ist Überforderung vorprogrammiert. Das muss sich ändern.

Gibt es dann am Ende vielleicht mehr als nur einen Papst?

Nein, das nicht. Aber der Nachfolger muss Aufgaben delegieren und die Verantwortung teilen, so wie es auch das letzte Konzil vorsieht. Das gesamte Führungssystem im Vatikan und in der Kurie muss auf den Prüfstand. Stichwort: Vatileaks, Pius-Brüder, Finanzaffären. Bei allem Respekt für Benedikt XVI. und sein Lebenswerk, den Vatikan hatte er nicht im Griff.

Das klingt nach tiefer Krise.

Ja. Ich kann nur hoffen, dass das Kardinalskollegium nicht nur schnell einen Nachfolger findet, sondern gleich einen neuen Kurs einschlägt. Es geht um die Zukunftsfragen im 3. Jahrtausend, Aidsbekämpfung, Familienplanung, die Anerkennung homosexueller Lebensformen. Mit alten Antworten wird die Kirche diesen Fragen nicht begegnen können. Das ist wirklich dramatisch. Die Kirche ist der letzte Global Player, der ein Gegengewicht zur Ökonomisierung und der Ausbeutung der Welt sein könnte. Wenn sie es nicht mehr schafft, glaubwürdig zu sein, ist das ein großer Verlust für die ganze Menschheit.

Sind Sie froh, dass Benedikt XVI. nun geht?

Nein. Schadenfreude oder Häme sind fehl am Platz. Es ist eher eine tragische Situation.

Was hätten Sie statt Häme und Schadenfreude parat?

Etwas Lob und viel Kritik: Seine Sprache kann faszinieren. Aber er blieb sein Leben lang Professor. Das Charisma der Führung, das dringend nötig ist auf diesem Posten, das hat ihm gefehlt.

Zudem hat er die ganze Zeit Bücher geschrieben.

Genau. Wie kann ich als Teilzeit-Papst für 1,3 Milliarden Menschen Oberhaupt sein, weil ich nebenbei noch Bücher schreiben möchte?

Alle Kardinäle wurden von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. berufen. Ist da überhaupt jemand dabei, der die Kirche moderner machen kann?

Das ist tatsächlich eine Hypothek, die beide Päpste hinterlassen haben. Ihre Auswahl der Kardinäle entspricht nicht der Verteilung der Katholiken in der Welt. Südamerika und Afrika etwa sind noch immer unterrepräsentiert. Was das Profil des Nachfolgers angeht, wünsche ich mir, dass er die Weltkirche im Blick hat und mehr von der Welt versteht. Der neue Papst muss aber nicht unbedingt aus der Reihe der Kardinäle gewählt werden.

Woher denn sonst?

Es könnte zum Beispiel laut Kirchenrecht ein Ordensmann sein.