EVA VÖLPEL ZUM URTEIL GEGEN COLONIA-DIGNIDAD-MITGLIEDER IN CHILE
: Deutschlands unterlassene Hilfe

Der oberste Gerichtshof von Chile hat Anfang der Woche für etwas Gerechtigkeit gesorgt. 14 Mitglieder der von Deutschen aufgebauten berüchtigten Foltersiedlung Colonia Dignidad sowie sieben chilenische Helfer wurden unter anderem wegen Kindesmissbrauch in letzter Instanz zu mehrjährigen Haft- oder Bewährungsstrafen verurteilt. Doch damit sind die Verbrechen, die in der Sektensiedlung im Süden Chiles begangen wurden, noch lange nicht aufgearbeitet – schon gar nicht in Deutschland.

Die Geschichte der Colonia Dignidad, die 1961 vom mittlerweile verstorbenen Deutschen Paul Schäfer gegründet wurde, ist voller Abwiegelungen und Vertuschungen seitens chilenischer und deutscher Behörden.

Über die Jahre wurde die Liste der erdrückenden Hinweise auf die Verbrechen, die in der Kolonie systematisch begangen wurden, immer länger. Opfer waren nicht nur viele Bewohner der Siedlung, sondern auch chilenische Kinder aus umliegenden Dörfern, die Schäfer über Ferienfreizeiten anlockte, sowie Gegner der chilenischen Militärdiktatur (1973–1990). Letztere wurden auf dem Gelände der Colonia gefoltert und ermordet. Doch die deutschen Behörden stellten sich jahrzehntelang taub. Botschafter Erwin Strätling, von 1976 bis 1979 in Chile, gab lieber Ehrenerklärungen für die Siedlung ab.

Es ist spät, aber nicht zu spät, den Opfern der Kolonie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Deutsche Behörden, allen voran das Auswärtige Amt, müssten sich ihrer Geschichte offensiv stellen und sich für die unterlassene Hilfeleistung entschuldigen. Vor allem aber muss das in Deutschland anhängige Ermittlungsverfahren gegen den Sektenarzt und deutschen Staatsbürger Hartmut Hopp, der 2011 hierher floh, um sich seiner Haftstrafe in Chile zu entziehen, mit aller Kraft vorangetrieben werden.

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