Transparenz in Bremen

REPRÄSENTATION Als der Architekt Wassili Luckhardt vor 50 Jahren einen modernen Landtag auf dem Bremer Markplatz baute, war das Geschrei groß. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz

1965/66 nach Plänen des Architekten Wassili Luckhardt gebaut: das Haus der Bürgerschaft in Bremen Foto: Olaf Kosinsky, Wikimedia

Als vor 50 Jahren das „Haus der Bürgerschaft“ in Bremen gebaut wurde, schrieben die Medien vor allem von Streitereien. Auf der einen Seite stand eine Gruppe als progressiv geltender Bremer Sozialdemokraten, die auf dem Marktplatz, gegenüber dem steinernen Standbild der Freiheit, der Roland-Statue, ein „steinernes Dokument demokratischen Bürgersinns“ errichten wollten.

Das Gros der Bürger dagegen schien den dabei praktizierten Stilbruch in Bremens guter Stube zu hassen. Statt der Entwürfe des Berliner Architekten Wassili Luckhardt wollten sie auf dem Areal der einst ungeliebt klobigen Börse, die im Krieg zerstört worden war, gern wieder possierliche Giebelhäuschen errichten – in dem Design, wie sie dort bis 1860 gestanden hatten. Eine Art Stadtzentrum-Disneyland wie auf Frankfurts Römerberg drohte.

Nach fast vierjähriger Bauzeit wurde dann aber doch das 10,5 Millionen Mark teure „Haus der Bürgerschaft“ eingeweiht. Das Hamburger Abendblatt zitierte am 9. September 1966 in seinem Artikel zum Festakt die Bremer „Modernisten“: Der Bau repräsentiere „in seiner noblen Würde und gezielten Klarheit“ das Hanseatentum und kultiviere den „Geist der Zeit“, der als „pragmatisch, kompromisslos“ beschrieben wird. Genauso wie das Weserrenaissance-Rathaus mit seinen frühbarocken Spielereien den Geist seiner Bauzeit vermittelt.

Heute ist der Parlamentssitz kein moderner Fremdkörper mehr im mittelalterlichen Ambiente, sondern Ausdruck der nun selbst schon wieder historisch gewordenen Epoche des Neuen Bauens. Das Gebäude behauptet sich eigenwillig in seinem Umfeld – nicht dagegen. Seit 1992 steht das Haus unter Denkmalschutz.

Während die heute aktuelle Moderne in Bremen mit abweisend wirkenden Glas-Beton-Klötzen im martialischen Oswald-Mathias-Ungers-Stil protzt, markiert das Haus der Bürgerschaft eine Art Scharniermoment der Architekturgeschichte: als Mies van der Rohes „Less is more“-Diktum nicht mehr allein selig machend war und der verballhornende Aufbruch in die Postmoderne, „Less is a bore“ (Robert Venturi), noch nicht triumphierte.

Das Gros der Bürger wollte auf dem Areal gern wieder possierliche Giebelhäuschen errichten

Als Stahlbetonskelett wurde das Bürgerschaftshaus in den Boden gepflanzt und zu zwei gegeneinander gesetzten Kuben ausformuliert, zwischen denen sich das Treppenhaus empor schwingt. Es ist alles da, auf was Parlamentsneubauten heute Wert legen. Die Transparenz (der Politik) wird mit riesigen Fensterfronten behauptet, die auch als gläserne Leinwände für die Prunkbauten der Nachbarschaft funktionieren. Verzierend behängt sind sie mit vertikal sich reckenden Metallschienen. Darunter reihen sich 15 aufgebrochene, schrundige, Falten und Wellen schlagende, teilweise blattgold glitzernde Reliefplatten Bernhard Heiligers. Nach Informel-Art, schick abstrakt, wie sie sich heute noch in repräsentativen Wohnzimmern findet.

Im Parlamentseingang kommt diesbezüglich noch ein Element hinzu: weißer Marmor empfängt den Besucher. Und Solidität wird eben nicht durch Beton, sondern mit guten alten Backsteinflächen kommuniziert. Immer noch umstritten ist allerdings das Faltdach mit den achtzackig krönenden Giebelzitaten – ein architektonischer Kompromiss, mit dem wertkonservative Bürger einst besänftigt wurden. Jens Fischer