Deutsche Schule in Istanbul inspiziert

Skandal Der Vorstand der begehrten Bildungseinrichtung soll Schulgelder veruntreut haben

Beliebt sowohl bei Schülern als auch bei Eltern: die Deutsche Schule in Istanbul Foto: Can Merey/ dpa

ISTANBUL taz | Es ist eine altehrwürdige Institution. Bereits 1868 als deutsch-schweizerische Schule gegründet, liegt das 1896 in Betrieb genommene Schulgebäude im Herzen Istanbuls, am Ende der berühmten Istiklal-Flaniermeile in Beyoğlu. Bis heute gehört die Deutsche Schule zu den begehrtesten Adressen bei bildungsbeflissenen Eltern in der Türkei. Für knapp 700 türkische SchülerInnen und ihre rund 160 deutsche MitschülerInnen zahlen die Eltern jeweils rund 12.000 Euro Schulgeld pro Schuljahr, damit ihre Kinder hier Abi machen können. Mit dem Abschluss können sie auch an deutschen Universitäten studieren.

Doch das Image der Bildungsinstitution ist angeschlagen, seit ein Korruptionsskandal bekannt wurde, der schon länger schwelte. Im Frühjahr 2013 machte an der Schule das Gerücht die Runde, der Vorstand habe Gelder veruntreut. Das deutsche Generalkonsulat in Istanbul schaltete sich ein, ein neuer Vorstand wurde gewählt, Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.

Allerdings wollte man aus Angst, den guten Ruf der Schule zu beschädigen, die Geschichte möglichst unter der Decke halten. Trotzdem tauchten vereinzelt in türkischen Medien Berichte über entwendete Gelder auf. Nachdem die Grünen-Fraktion im Bundestag vor einigen Wochen dazu eine Anfrage stellte, musste schließlich das Auswärtige Amt (AA) handeln.

In der kommenden Woche soll ein Team von AA-Sonder­ermittlern an den Bosporus kommen, um Licht in die Korruptionsaffäre zu bringen. Es geht um insgesamt 2,6 Mil­lionen Euro, die verschwunden sind – Gelder von den Beiträgen deutscher Eltern. Die Verwendung der Schulgelder der türkischen Eltern wird traditionell vom türkischen Kulturministerium kontrolliert, weshalb diese nicht abgetastet wurden. Nach Meinung betroffener Eltern und von Lehrern der Schule ist das Hauptproblem aber nicht die Höhe der gestohlenen Gelder, sondern die Strukturen, die die Veruntreuung möglich machten.

Der rechtliche Träger der Schule ist ein Verein zum Betrieb der Deutschen Schule. Anders als an anderen deutschen Auslandsschulen ist der Verein aber nicht für Eltern oder Absolventen der Schule automatisch offen, sondern war über viele Jahre eine geschlossene Gesellschaft mit handverlesenen Mitgliedern. Das führte zu Intransparenz, Abschottung, Arroganz.

Nachdem 2013 bekannt wurde, dass von einem Konto, das der Vorstand kontrolliert, rund 2 Millionen Euro verschwunden waren, wurde zwar ein neuer Vorstand bestellt. Doch die Strukturen blieben nahezu unverändert. Immer noch entscheidet der Vorstand, wen er als neues Mitglied im Verein akzeptiert. Zwar durften mittlerweile in dem ehemals rein deutschen Verein auch türkische Absolventen Mitglied werden, doch von einer demokratischen Struktur ist der Trägerverein weit entfernt. Und immer noch ist der Vorstand nicht verpflichtet, gegenüber den Eltern Rechenschaft über die Verwendung der Schulgelder abzulegen.

Das macht sich im Schulalltag bemerkbar. „Hier herrscht ein Klima der Angst“, sagte ein Lehrer, der anonym bleiben will: „Wer Kritik äußert, kann ganz schnell vor die Tür gesetzt werden.“

Was die Inspekteure des Auswärtigen Amts in Istanbul genau tun sollen, ist nicht klar. Offiziell heißt es, es ginge um die Prüfung, ob auch staatliche Mittel von der Korruptionsgeschichte betroffen sind.

Davon hat in Istanbul allerdings bislang niemand etwas gehört. „Viel wichtiger wäre es“, sagt ein Elternteil eines deutschen Schülers, „dass die Schule endlich ihr autoritäres Gehabe ablegt und in der pädagogischen Moderne ankommt“.

Jürgen Gottschlich