Sport

70 Jahre nach dem Holocaust finden erstmals die European Maccabi Games in Deutschland statt. Über die Geschichte jüdischen Sports

Antileninistisch
und antiautoritär

Polen Jüdischer Sport war in dem Land in großen Teilen Arbeitersport, sagt Sporthistoriker Blecking

Diethelm Blecking

Foto: Inga Haar

ist Sporthistoriker an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er forscht zum polnischen Arbeitersport und zur Geschichte des jüdischen Sports.

Interview Martin Krauss

taz: Herr Blecking, mitten in die jüdischen European-Maccabi-Games in Berlin platzieren Sie ein Symposium, das jüdischen Sport thematisiert, der aber nichts mit Makkabi zu tun hat. Warum?

Diethelm Blecking: Ich denke, dass ein jüdisches Sportfest wie die European Maccabi Games nicht ohne die Reflexion des Sports in einem Land auskommen darf, in dem der jüdische Sport so stark war wie nirgends sonst, quantitativ dreimal so stark wie in Deutschland: nämlich Polen bis zum deutschen Überfall 1939. Der jüdische Sport dort wies darüber hinaus universale gesellschaftliche Perspektiven auf, die weit über das Jüdische hinauswiesen.

Inwiefern?

Jüdischer Sport in Polen war in großen Teilen Arbeitersport, weil die Sozialstruktur der Juden dort proletarisch war. Es gab den Algemejnen Jidyszen Arbeter Bund, abgekürzt spricht man vom Bund, und innerhalb dieser bedeutenden Organisation gab es Morgnsthern, wo Sport betrieben wurde. Die Vereine waren stark, auch quantitativ: Allein im Warschauer Morgn­sthern waren im Jahre 1939 1.800 Sportler aktiv.

Was war das Besondere an Morgnsthern?

Die Bundisten wollten den „nayen mentshn“ entwickeln, das war ein klassisch sozialistisches Programm, das vor allem Kinder und Frauen stärken sollte und auch stärkte. Das war nicht nur plakativ, wie es im deutschen Arbeitersport verbreitet war, sondern wurde praktisch angegangen: In Wilna waren im Morgnsthern 100 Frauen aktiv und 50 Männer, auch in Warschau waren in der Turnabteilung mehr Frauen als Männer. Es war ein proletarisch-internationalistisches Projekt, das – und das ist mir besonders wichtig – immer antileninistisch und antiautoritär ausgerichtet war.

Der jüdische Arzt und Schriftsteller Max Nordau rief das Ziel des „Muskeljuden“ aus – ein Konzept, das sich gegen das antisemitische Stereotyp vom „schwächlichen Juden“ wandte. Wie unterscheidet sich „nayen mentshn“ vom „Muskeljuden“?

Das sind grundlegend verschiedene Konzepte. Gegen den „Muskeljuden“ wurde beim Bund und bei Morgnsthern polemisiert, die Makkabi-Sportler galten in der klassenkämperisch aufgeladenen Sprache als „Sklaven“ des Kapitalismus. Der Morgnsthern war nicht religiös, und um die Makkabi-Leute zu ärgern, legte Morgnsthern seine Wettkämpfe etwa bewusst auf den Schabbat.

Warum verstand sich der Morgnsthern als jüdisch, wenn er mit dem Judentum nichts zu tun haben wollte?

Man verstand sich als kulturell-jüdisch, das heißt: jiddischsprechend und proletarisch. Das war in Polen durchaus ein Alleinstellungsmerkmal – eine Art doppelte Identifikationsmöglichkeit..

Symposium: „Nicht nur die ‚Schindler-Juden‘ spielten Fußball“. Centrum Judaicum: 29. Juli, 19 Uhr in Berlin