Sonntagstisch Eine Gemüsesuppe aus dem Pfarrgarten von Reichesdorf, verspeist mit dem letzten Siebenbürger Sachsen
: Das Ohr isst mit in Reichesdorf

Gemüsesuppe wird nichts ohne Huhn Foto: mauritius images

Von Philipp Mausshardt

Es war ein Sonntag, an dem wir morgens noch nicht wussten, wer abends am Tisch sitzen wird und was es zu essen gibt. Wir wussten nur, Reichesdorf wird der Flecken heißen, in einer Gegend, in der die Siebenbürger Sachsen einmal wohnten und die, heute weitgehend von der Welt vergessen, im rumänischen Karpatenbogen liegt. Und ich wusste: Das Essen wird gut sein, denn im alten Pfarrhaus von Reichesdorf, wo wir übernachten würden, kocht Anisoara, eine Bäuerin aus dem Dorf. Ich war vor Jahren schon einmal hier gewesen.

Wir stellten nach langem Ritt unsere Pferde auf einer Wiese hinter dem Pfarrgarten ab. Der Geruch von gekochtem Fleisch wehte uns entgegen, als wir das Tor öffneten. Gerit und Tony, ein Ehepaar aus Holland, das sich in Reichesdorf vor vielen Jahren niedergelassen hat, erwartete uns zum Abendessen. Am Tisch der großen Küche saßen noch ein Engländer, ein bosnischer Fotograf und Will, einer der letzten Siebenbürger Sachsen, der nicht ausgewandert ist. Er spricht den wunderschönen Dialekt mit dem rollenden R und altmodischen Wörtern wie „angedeihen lassen“ oder Sätzen wie: „Nu, die Bienen sind in diesem Jahr gut über den Winter gekommen.“

Gegen neun Uhr abends läutete die Glocke der Zisterzienserkirche drei Mal. Ein alter Mann, erzählte uns Gerit, steigt jeden Abend auf den Turm und schlägt sie mit dem Hammer. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Es war der Moment, als Köchin Anisoara die Gemüsesuppe auftischte und die Dorfhunde es leid geworden waren zu kläffen. Ein magischer Moment. Wir saßen um die große Suppenschüssel und löffelten still die Suppe.

Das Auge isst mit, heißt es. In Reichesdorf aß auch das Ohr mit. Jedenfalls bildete ich mir ein, das Fehlen jeglicher zivilisatorischer Geräusche hätte auch eine Wirkung auf den Geschmack der Gemüsesuppe, die so intensiv nach den Zutaten schmeckte, wie wahrscheinlich schon zu jenen Zeiten, als weder Kunstdünger noch hochgezüchtete Samen geschweige denn Maggi oder Geschmacksverstärker ihr Fälscherwerk verrichteten. Von der Dorfstraße drang nur das Hufgeklapper der Pferde, die die hölzernen Wagen nach Hause zogen.

1 große Zwiebel

100 g Stangensellerie

200 g Weißkohl

2 Karotten

4 Kartoffeln

3 Lorbeerblätter

Petersilie

Borretsch (Gurkenkraut)

Salz

Pfeffer

1 L HühnerbrüheZwiebel, Stangensellerie, Weißkohl und Karotten in feine Scheiben schneiden bzw. würfeln und mit Butterschmalz leicht anbraten, bis sie Farbe angenommen haben. Mit Hühnerbrühe auffüllen, die geschälten und gewürfelten Kartoffeln, die Lorbeerblätter und die Borretschblätter zugeben und bei milder Hitze eine halbe Stunde simmern lassen. Würzen und mit Petersilie bestreuen.

Von der Küche sah man in den Pfarrgarten, aus dem Anisoara alle Zutaten geholt hatte. Sie hatte schon am Morgen das Huhn gekocht, die Grundlage der Suppe. Jedes gute Essen beginnt in Siebenbürgen mit einer Suppe. Sie schmeckt immer ein wenig anders, je nach Jahreszeit. Die Basis ist meist eine Hühnersuppe, die – Vegetarier mögen verzeihen – durch keine Gemüsebrühe ersetzt werden kann. Als Suppenhühner werden die alten Tiere verwendet, die nach einem langen Leben ihr Soll als Eierleger erfüllt haben. Später, als das Gulasch auf den Tisch kam, holte Gerit einen Krug seines selbst gemachten Weins, der so anders schmeckte als die gängigen Weine aus dem Supermarktregal. Die Trauben (Hybrid-Sorten noch vor der Zeit der Reblaus) haben schon vor der Vergärung einen eigenwilligen Geschmack, den nur bösartige Zeitgenossen mit „Katzenpisse“ in Verbindung bringen.

Unserer Tafelrunde schmeckte er so gut, dass wir am Ende des Abends einiges übereinander wussten. James, der Engländer, baut sich mit seiner Familie eine neue Existenz in einem Nachbardorf auf, Gerit und Tony kurbeln weiter den Tourismus in Reichesdorf an, und Will, der letzte Sachse, hat seinen Frieden geschlossen mit der großen Auswanderungswelle seiner Landsleute nach der Revolution. Wir sattelten am nächsten Morgen unsere Pferde und verließen Reichesdorf in Richtung Osten.

Die Essecke: Unsere KorrespondentInnen erzählen hier jeden Monat, was man in ihren Ländern auf der Straße isst. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche. Köchin Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte. Und Autor Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch